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Ein Werbetechniker klebt das Logo "Vorsicht Buch!" der Leipziger Buchmesse auf eine Treppe in der Glashalle der Leipziger Messe.

© dpa

Buchmesse Leipzig: Das Leitmedium

Das Schöne an der Buchwelt ist, dass es in ihr gleichermaßen betulich, langsam und enorm temporeich zugeht. Ein Wort zur Leipziger Buchmesse.

Das meistverkaufte Buch in dieser Woche ist ein altes, 1951 geschriebenes: Siegfried Lenz’ Roman „Der Überläufer“, der noch nicht publiziert und im Nachlass des großen, 2014 verstorbenen Schriftstellers gefunden wurde. Er erzählt von einem deutschen Soldaten, der im letzten Kriegsjahr zu den Russen überläuft. Der Erfolg des Romans kommt zunächst nicht allzu überraschend, weil Lenz bei aller literarischen Größe immer ein Publikumsautor war.

Er ist jedoch insofern höchst bemerkenswert, als dass in den kommenden Tagen, da am heutigen Mittwochabend die Leipziger Buchmesse im Gewandhaus feierlich eröffnet wird, wieder viel von digitalem Wandel die Rede sein wird, von neuen Leseformen und Literaturen in den sozialen Medien, von Buchbeschleunigern zwischen Feuilleton und Blogosphäre. Und dann Lenz, der am Donnerstag 90 Jahre alt geworden wäre, auf Platz eins der Bestsellerlisten, mit einem fünfundsechzig Jahre alten Roman? Gibt es gerade nichts Schnelleres, Zeitgemäßeres?

Das Schöne an der Buchwelt ist, dass es in ihr gleichermaßen betulich, langsam und enorm temporeich zugeht. Die Zeit, die Bücher brauchen, um geschrieben, auch um wiederentdeckt zu werden, die Zeit, von der erzählt wird, all diese Zeitformen laufen parallel zu einer Gegenwart, die wiederum von der Zukunft gern einmal überholt wird. Um Zeit geht es, wenn an diesem Mittwoch im Bundeskabinett wieder über den bei Schriftstellern und Verlagen höchst umstrittenen Gesetzentwurf zum neuen Urheberrecht beraten wird. Es heißt, man plane die Fünfjahresfrist, nach welcher Urheber ihre Rechte zurückverlangen können, doch auf zehn Jahre zu verdoppeln. Um Zeit, Gegenwart und Unmittelbarkeit geht es in den von der Buchmesse eingerichteten Online-Plattformen und Twitter-Hashtags wie #lbm16, auf den von ihr veranstalteten Blogger-Sessions. Oder auf den Internetseiten der Verlage, auf denen die sonst viel Zeit für ihre gedruckten Bücher brauchenden Autoren und Autorinnen sich austauschen oder in schnellen und kurzen Prosaformen üben.

Die Literatur zeigt sich widerständig

Die Literatur selbst aber, bei allem Wandel, zeigt sich widerständig – haben es Twitter oder WhatsApp mit ihren Mini-Einträgen und ihrem Kurzmitteilungscharakter bisher vermocht, eine neue, tragende Prosaformen hervorzubringen? Nein. Und am Ende ist es doch so: eine Autorin wie Stefanie Sargnagel, die bei Facebook entdeckt worden ist, ein Autor wie Tilman Rammstedt, der gerade einen täglich entstehenden Online-Roman schreibt, oder die Blogger – sie alle drängt es zwischen die beiden berühmten, bedruckten Deckel. Das Buch ist und bleibt Leitmedium.

Dass sich die Marketinginstrumente dafür verändert haben, dass manchmal der Ereignischarakter sehr betont wird, auch das gehört zum Buch zur Zeit. Lenz’ Roman wurde von seinem Verlag im Zusammenspiel mit den Medien geschickt am Markt platziert. Das unterscheidet ihn nicht groß von „Panikherz“, der vieldiskutierten Autobiografie von Benjamin von Stuckrad-Barre, oder „Wir kommen“, dem gehypten Roman von Ronja von Rönne. Man könnte da von einem Comeback der Popliteratur sprechen, vom Sieg der Oberflächen, der Gegenwart und des Events über die Literatur und die übrige Zeit, insbesondere die Vergangenheit. Aber ob in fünfundsechzig Jahren nochmal ein Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre ein Bestseller wird?

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