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Kultur: Buchpreisbindung: Bücher ohne Grenzen

Im Dreißigjährigen Krieg schwiegen die Waffen in der kalten Jahreszeit. Die Söldner leckten ihre Wunden, und die Kriegsherren füllten die Lücken in den Bataillonen auf, damit der Krieg im nächsten Sommer in alter Frische weiter gehen konnte.

Im Dreißigjährigen Krieg schwiegen die Waffen in der kalten Jahreszeit. Die Söldner leckten ihre Wunden, und die Kriegsherren füllten die Lücken in den Bataillonen auf, damit der Krieg im nächsten Sommer in alter Frische weiter gehen konnte. Der deutsche Buchhandel und die Europäische Kommission befinden sich erst im siebenten Jahr ihrer Fehde um die Preisbindung für Bücher, aber sie halten es genau so.

Die erste Schlacht dieses Jahres ist geschlagen, und zum zweiten Mal in Folge ziehen die Brüsseler als Sieger vom Feld. Im August vorigen Jahres hatten sie an zwei Tagen einige Verlage, Großhändler und den Börsenverein des deutschen Buchhandels durchsucht und Material beschlagnahmt. Damals wollten die Unternehmen Libro (Österreich) und Proxis (Belgien) deutschen Internetkunden Bestseller bis zu 20 Prozent billiger verkaufen und waren daraufhin von mehr als 15 deutschen Verlagen und einigen Großhändlern nicht mehr beliefert worden. Ob dabei verbotene Absprachen zur Durchsetzung des gebundenen Buchpreises getroffen worden waren, wollte die EU aus den beschlagnahmten Unterlagen ersehen.

Finanzkrise durch Bußgeld

Deren Auswertung sollte einige Monate dauern. Daraus wurde fast ein Jahr: Erst Ende Juli kündigte der EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti zwei Kartellverfahren an. Das erste zielt auf alle 1700 deutschen Verlage, die den Buchpreis binden, das zweite droht dem Börsenverein, der Verlagsgruppe Random House (früher Bertelsmann) und dem Stuttgarter Großhändler Koch, Neff & Oetinger Bußgeldzahlungen wegen Kartellabsprachen an. Bereits die bisher vom Börsenverein aufgebrachten knapp 5 Millionen Mark führten den Verband in eine Finanzkrise. Drei Jahre lang zahlen die Mitglieder nun ein Notopfer in Höhe von 10 Prozent ihres Mitgliedsbeitrages, das jährlich 1,1 Millionen Mark in die Kasse spült. Im Haushaltsplan für 2001 hat das Branchenmagazin "Buchreport" unter Rückstellungen bereits einen "nicht genau zu verifizierenden Betrag" mit dem Stichwort "Bußgeld" gefunden.

Nach der Ankündigung der Kartellverfahren ließ Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin durch eine Sprecherin seine "Verwunderung" mitteilen, mit "Unverständnis und Empörung" reagierte der noch amtierende Börsenvereinsvorsitzende Roland Ulmer. Doch erst die Reaktion des Aufbau-Verlegers Bernd F. Lunkewitz zeigt, wie blank die Nerven liegen. Weil Aufbau vor einem Jahr durchsucht worden war, jetzt aber keine Bußgelddrohung erhielt, sieht Lunkewitz seine Ehre gefährdet. Am 2. August klagte er in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Warum tut die Kommission uns das an?"

Das in Brüssel hoffentlich unbekannte Vorbild dieser hybriden Geste stammt von Oskar Maria Graf. 1933 erfuhr der Exilant entsetzt, dass die Nationalsozialisten seine Bücher nicht etwa verbrennen, sondern in Ehren halten. "Womit habe ich diese Schmach verdient?", fragte Graf und bat öffentlich: "Verbrennt mich!"

Das Kartellverfahren geht jetzt seinen geregelten Gang. Die Betroffenen haben drei Monate Zeit, auf die "Beschwerdepunkte" zu antworten und können auf einer Anhörung ihre Position darlegen. Danach fällt die Kommission eine Entscheidung, die vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten werden kann. Die EU-Bußgelder fallen zuweilen durchaus saftig aus. Brüssel hat etwa vor einem Jahr die Rekordstrafe von 176 Millionen Mark (90 Millionen Euro) gegen VW verhängt, weil der Autohersteller billige Reimporte behinderte.

Um allein diesen Punkt geht es auch beim Streit zwischen Verlagen und der Kommission. Denn so ermüdend die Auseinandersetzungen zwischen Kulturverfechtern und Marktliberalen auch sind - meist wird übersehen, dass weitestgehende Einigkeit besteht. Seit 1993 in Brüssel die Genehmigung der damals für Deutschland, Schweiz und Österreich geltenden Buchpreisbindung beantragt wurde, ist unstrittig, dass Verleger den Buchpreis im eigenen Land, nicht aber beim Export festlegen können.

Daher wurde die Preisbindung im letzten Jahr "nationalisiert": Österreich erließ ein Gesetz, und in Deutschland wurde der Sammelrevers reformuliert, der Verlage und Buchhändler zur Einhaltung des Ladenpreises verpflichtet. Im Juli 2000 folgte eine Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), ein Preisbindungsgesetz ist für Frühjahr 2002 angekündigt. Der feste Ladenpreis soll den Konzentrationstendenzen in der Branche entgegenwirken, die Vielfalt der Buchhandlungen, der Verlage und der Titelproduktion erhalten sowie die Mischkalkulation erlauben, bei der Bestseller schwierige, oft anspruchsvolle Bücher mitfinanzieren. Die EU bezweifelt diese Auswirkungen, insbesondere die hohen Buchpreise sind ihr ein Dorn im Auge. Auch bei der Preisbindung steckt der Teufel im Detail. Sammelrevers wie GWB enthalten eine so genannte Reimportklausel: Für Bücher, die "allein" zum Zweck ihrer Wiedereinfuhr nach Deutschland in ein EU-Land ausgeführt worden sind, gilt die Preisbindung. Mario Monti hat den im Februar genehmigten Sammelrevers allerdings anders verstanden. Seiner Meinung nach erlaubt er Lieferungen aus Mitgliedsstaaten an deutsche Endverbraucher mit Rabatt - anders übrigens als das GWB, das er daher nicht billigte.

Libro prüfte dann im Juli letzten Jahres, ob Montis Interpretation bei deutschen Verlagen konsensfähig war. Alles weitere ist sattsam bekannt: Lieferstopps durch Verlage, die eine Umgehung der Preisbindung sahen, Klagen von Libro, Haussuchungen der Kommission, der jetzt die Ankündigung von zwei Verfahren folgte. Die Brüsseler Forderung, ohne Ausnahme an alle ausländischen Unternehmen zu liefern, auch an solche, die deutschen Kunden Rabatt einräumen, weisen die deutschen Verlage entrüstet zurück. Es gelte Vertragsfreiheit, und hinter vorgehaltener Hand wird der Parfümproduzent Chanel genannt, der auch nicht an Tankstellen liefere.

Der Reimport ist die Achillesferse der nationalen Preisbindung, und der Konflikt längst zur Prinzipienfrage geworden. Schon stehen "Ehre" (Bernd F. Lunkewitz) und "Glaubwürdigkeit" (Mario Monti) auf dem Spiel. Die einen streiten für das nationale Kulturgut wider die Globalisierung und "platten Kapitalismus" (Lunkewitz), die anderen wollen mit Hilfe des grenzüberschreitenden Internetbuchhandels den Konsumenten mit niedrigen Preisen beglücken. Beide können erste Gerichtsurteile schwenken: Landgerichte in Berlin und Frankfurt am Main gaben den boykottierenden Verlagen, jenes in Köln dagegen Libro Recht.

Die großdeutsche Lösung

Diese verfahrene Lage wird durch die Kartellverfahren zugespitzt. Sie beschädigen das Ansehen des Börsenvereins und rücken, das hat Börsenvereinsvorsteher Roland Ulmer richtig erkannt, die Preisbindung in die Grauzone krimineller Absprachen. Brüssel weist zudem darauf hin, dass die Buchpreisbindung gegenwärtig null und nichtig sei.

Keine Entspannung ist vom Preisbindungsgesetz zu erwarten, das in Deutschland - ebenso wie in Belgien und Dänemark - vorbereitet wird und im letzten Jahr schon in Österreich, Italien, Portugal und Griechenland verabschiedet wurde. Es wird ebenfalls die umstrittene Reimportklausel enthalten. Danach ist wohl der Europäische Gerichtshof gefragt.

Dort wollten Börsenverein und Libro ohnehin einen Musterprozess über die Rechtmäßigkeit der Preisbindung führen. Allerdings ist Libro inzwischen zahlungsunfähig, hat seine Filialen in Deutschland geschlossen und will sich auf das "Kerngeschäft" konzentrieren. Ob dazu auch der Musterprozess und sieben weitere anhängige Verfahren gehören, ist noch unklar.

Derzeit bietet sich nur eine Lösung an: Deutsche Bücher, die nicht "allein" zum Zweck ihrer Wiedereinfuhr nach Deutschland in ein EU-Land ausgeführt worden sind, können eigentlich nur nach Österreich gelangt sein. Dort liest man bekanntlich auch deutsch. Eine Konföderation zwischen Deutschland und Österreich würde also das Problem lösen.

Jörg Plath

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