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Der amerikanische Musiker und Autor Willy Vlautin.

© Lee Posey/ Vlautin

Buchvorstellung: Willy Vlautin im HBC

Willy Vlautins dritter Roman "Lean On Pete" ist ein anrührendes, melancholisches Abenteuer. Ähnlich verhält es sich mit seiner Musik.

Im letzten September gab der amerikanische Musiker und Autor Willy Vlautin mit seiner exquisiten Alt-Country-Band Richmond Fontaine aus Portland, Oregon ein berauschendes Konzert im kleinen Kreuzberger Privat Club. Doch Vlautin ist nicht nur Singer/Songwriter, er schreibt auch Romane, und zur Veröffentlichung seines dritten Buches "Lean On Pete" lädt sein deutscher Verlag ("Berlin Verlag") zu Lesung und Solokonzert ins HBC. Zu realsozialistischen Zeiten war hier das Ungarische Kulturzentrum untergebracht. Heute macht es den Eindruck, als habe sich nicht viel verändert seitdem.

Der Veranstaltungssaal wirkt ein bisschen heruntergewirtschaftet, als hätte er einmal bessere Zeiten gesehen. Genauso wie die Pferderennbahn von Portland Oregon, einem Schauplatz von Willy Vlautins neuem Roman. Hier erzählt der 43-jährige Autor die Geschichte eines entwurzelten, einzelgängerischen Fünfzehnjährigen, der Arbeit auf jener Rennbahn findet, sowie die Freundschaft zu einem alten Rennpferd, mit dem er schließlich flieht, um es zu retten vor dem Tod beim Pferdeschlächter. Ein großes melancholisches Abenteuer unterwegs auf der Straße, mit einem Protagonisten, der einem durch Vlautins anrührende Erzählweise schnell ans Herz wächst mit all seiner Einsamkeit, Zerrissenheit, seinen Schicksalsschlägen, die ihn jedoch nie die Hoffnung aufgeben lassen. Mit dem man mitfiebert wie mit den Helden in den Romanen der eigenen Kindheit und Jugend, wie mit Tom Sawyer und Huckleberry Finn vielleicht. Bis zum Ende, wo der junge Charley Thompson doch noch etwas Glück erfährt. Ein Happy End ohne jeglichen Anflug von Kitsch.

Wie seine Romanhelden ist Willy Vlautin ein scheuer Mensch, der ein bisschen traurig und verloren wirkt, wie er da oben auf der Bühne sitzt, auf dem roten Plastikstuhl, in einem seiner typischen karierten Cowboyhemden, mit zerbeulten Jeans, Brieftaschenkette und derben Arbeiterschuhen. Wie er nervös mit den Augen blinzelt, sie zusammenkneift und vornübergebeugt den Blick starr nach unten hält. Glück für ihn und seine zahlreich erschienenen Fans, dass dort sein Buch ist, aus dem er vorlesen kann, was Augen und Stimme zusehends sicherer macht. Er liest das erste Kapitel, in dem er seinen jugendlichen Protagonisten vorstellt wie auch dessen traurige Lebensumstände. Mit seiner erprobten Musiker-Stimme verleiht Vlautin dem anrührenden amerikanischen Original-Text und seiner schönen Sprache, die so einfach und eindringlich ist wie ein guter Song, einen zusätzlichen Reiz, der dessen Rhythmus und sein melodisches Element noch verfeinert.

Leider funktioniert das nicht so gut mit den deutschen Kapiteln, was sicher nicht an der vorzüglichen Übersetzung von Robin Detje liegt, sondern eher an der Vortragsweise des jungen Leipziger Schriftstellers und glühenden Vlautin-Fans Clemens Meyer, der mit stark sächsisch gefärbtem Akzent und einer seltsamen Mischung aus nervöser Überdrehtheit, Nuscheligkeit und schläfrig machender Monotonie nicht die beste Wahl war als Vorleser. Der Zuhörer konzentriert sich lieber auf Vlautins schönes Gitarrenspiel, mit dem er Meyers Vorlese-Parts sanft und fließend, aber auch sehr ablenkend untermalt.

Dazwischen stellt die Moderatorin Fragen an den Autor, wie sie eben so gestellt werden bei derartigen Buchpräsentationen: Wie er auf die Namen der Figuren gekommen sei, auf die Themen? Warum spielt der Roman auf einer Rennbahn? Schüchtern lächelnd erklärt Vlautin, dass er schon seine beiden ersten Romane "Motel Life" und "Northline" auf der runtergekommenen Rennbahn von Portland geschrieben habe, weil ihn der Ort mit seiner abgetakelten Atmosphäre schon immer fasziniert und inspiriert habe, und dann schließlich auch zu "Lean On Pete".

Clemens Meyer erzählt ganz aufgeregt von seiner eigenen Leidenschaft für Pferdewetten, wie mitreißend die Dynamik der Rennen sei, und dass man das Wissen darum als echte Wissenschaft bezeichnen müsse. Er bezeichne es eher als "Spielsucht" sagt Vlautin und grinst wissend. Dann steht er auf, hängt sich noch einmal seine Linkshänder-Martin-Akustikgitarre um, singt mit seiner schönen Country-Stimme noch ein paar berauschende Songs, bevor er am Ende gelöst den Blick hebt und entspannt ins Auditorium lacht: "Thanks for clapping!"

Man wünscht ihm noch eine Menge Leser mehr für seine drei tollen Romane über sympathische Verlierer der Unterschicht, die immer ihre Würde bewahren und schließlich vielleicht doch noch etwas Glück finden. Wie man ihm auch noch eine Menge Hörer mehr gönnt für seine Songs und seine Band Richmond Fontaine, deren ganzes letztes Album sich so wunderbar anhört wie dessen poetischer Titel: "We Used To Think The Freeway Sounded Like A River".

Willy Vlautin, Lean On Pete, Deutsche Erstausgabe als Taschenbuch bei
Berlin Verlag, Berlin € 10,95
erscheint auch als Jugendbuch bei Berliner Taschenbuch Verlage als
bloomsbury crossover-Ausgabe
www.berlinverlage.de/crossover

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