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Bud Spencer im Interview von 2012: „Da denkst du, du bist Gott“

Bud Spencer ist tot - und er führte viele Leben. Hier ist noch einmal ein Tagesspiegel-Interview mit dem italienischen Schauspieler von 2012.

Herr Pedersoli, Sie waren …

Nein, halt! Ich bin kein Herr. Der Herr sitzt oben im Himmel. Nennen Sie mich Bud!

Bud, Sie waren als Schwimmer ein Topathlet – bevor Sie zu Bud Spencer wurden.

Ich war zehn Jahre hintereinander italienischer Meister. Ich habe zweimal an den Olympischen Spielen teilgenommen – 1952 in Helsinki und 1956 in Melbourne. Und ich war Mitglied der Wasserball-Nationalmannschaft. Ich war ein Champion!

Ist der Schwimmer Carlo Pedersoli eifersüchtig auf Bud Spencer, den Filmstar, den die Welt verehrt?

Eifersüchtig? Nein. Ich liebe Bud Spencer. Ich bin gerne Bud Spencer. Ich habe vier Generationen von Fans, die meine Filme mögen. Die Menschen sehen diesen Typen, der das tut, was sie selbst nicht tun dürfen: dem nervigen Chef einfach mal eine Backpfeife verpassen – ohne dass Blut spritzt. Das hat diese Figur in der ganzen Welt sympathisch gemacht. Und ich bin eins mit ihr geworden.

Wie kamen Sie zum Schwimmen?

Ich bin in Neapel aufgewachsen. Da ist das ganz einfach, irgendwann wirft dich einer ins Wasser.

Neapel, da ist die ganze Stadt verrückt nach Fußball. Sie hätten Fußballer werden sollen!

Während des Zweiten Weltkrieges war Fußball noch nicht so populär. Außerdem ist Neapel eine Hafenstadt. Die Sportvereine hatten ihre Clubhäuser direkt am Meer. Man war entweder bei den Seglern, bei den Wasserballern – oder man war Schwimmer.

Erinnern Sie sich an Ihren ersten Wettkampf?

Da war ich achteinhalb. Schwimmbäder gab es noch nicht. Wir schwammen im Hafen – zwischen den großen Schiffen. Dort war man geschützt vor dem hohen Wellengang. Mein erstes Rennen habe ich gewonnen. Ich habe fast immer gewonnen.

Damals herrschte Krieg …

… und ich kann mich gut an die Sirenen erinnern. Sie kündigten die Bombenangriffe der Amerikaner an. Stundenlang saßen wir in den Bunkern. Die Erwachsenen spielten Karten, wir Kinder langweilten uns. Als die Sirene wieder erklang, um anzuzeigen, dass die Gefahr gebannt war, suchten wir nach den Bombensplittern. Wer zuerst einen fand, hatte das Spiel gewonnen.

Bitte beschreiben Sie das Leben im Hause Pedersoli.

Mein Elternhaus war großbürgerlich, durchaus wohlhabend. Mein Vater war Industrieller und Mitglied in den exklusivsten Clubs Neapels. Irgendwann trafen die Bomben ein mit Sprengstoff beladenes Schiff, es lag direkt vor unserer Fabrik vor Anker. Sie wurde komplett zerstört. Wir zogen nach Rom, lebten dort von unserem Ersparten. Mein Vater hatte mit Depressionen zu kämpfen, meine Mutter bestickte Taschentücher mit dem Motiv des Kolosseums und verkaufte sie an Touristen. Ich schwamm.

Mit 13 war er italienischer Schwimm-Meister

Woran denken Sie im Wasser?

An nichts. Man hat alle Zeit der Welt, man ist ungestört, zieht Bahn für Bahn. Im Juli 1943 wurde ich das erste Mal italienischer Meister. Da war ich 13.

Hatten Sie einen guten Trainer?

Nein. Wir hatten Trainer, aber die hatten alle keine Ahnung. Trainingspläne, sportliche Untersuchungen, all das gab es damals noch nicht. Ich hatte nie einen Ernährungsexperten, nie einen Arzt an meiner Seite. Und das, obwohl ich auf höchstem Niveau schwamm. Alles war, wie soll ich sagen, einfacher damals.

Erzählen Sie!

Wir fuhren nachts zu den Wettkämpfen, denn eine Übernachtung vor Ort konnten wir uns nicht leisten. Schlaflose Stunden in einem klapprigen, hölzernen Zugabteil dritter Klasse quer durch Italien, dann morgens direkt vom Bahnhof zum Startblock. Als ich mit 16 erneut italienischer Meister wurde, ließen meine Vereinskollegen eine Mütze herumreichen. Von dem eingesammelten Geld kauften sie mir einen Bademantel.

Wann haben Sie zum ersten Mal ein Schwimmbad gesehen?

In Rom. Beim Club „Romana Nuoto“ – direkt am Tiber. Es war so eine Art abgegrenztes Becken im Fluss. „Romana Nuoto“ ist der älteste Schwimmverein Italiens. Gegründet 1887. Im Winter haben wir Rugby gespielt, um uns fit zu halten.

Rugby oder Wasserball. Was ist härter?

Wasserball. Weil das ein gemeiner Sport ist. All das Unerlaubte passiert unter Wasser. Das Stoßen, das Treten. Heute spielt man vier Einheiten zu acht Minuten. Mit fliegendem Wechsel. Da gibt es genug Zeit, sich auszuruhen. Damals spielten wir zwei Halbzeiten zu je 18 Minuten. Immer die Gischt des Salzwassers im Gesicht. Und Fairplay, das gab es nicht. Das fing schon bei den Zuschauern an.

Was haben die getan?

Wenn wir zu Spielen nach Ligurien gefahren sind, in die kleinen Städtchen am Meer, da wurden wir mit Polizeieskorte ans Wasser begleitet. Die haben uns gehasst, weil wir aus der Hauptstadt kamen. Auf den Holzbänken am Hafen das tobende Publikum. Im Meer, direkt um das Wasserballfeld herum, die Fischer mit ihren Booten. Die haben uns angeschrieen: „Wenn du ein Tor machst, haue ich dir die Angel ins Gesicht.“ Pah! Viele Tore habe ich gemacht.

War die Stimmung bei den Schwimmwettbewerben auch so giftig?

Freundschaften unter den Schwimmern gab es kaum. Auch unter uns Italienern nicht. Meine größten Konkurrenten waren der Amerikaner Clarke Scholes, der in Helsinki Gold gewann und die Japaner: der damalige Weltmeister Toru Goto, Hiroshi Suzuki, Olympia-Zweiter, und Hironoshin Furuhashi, den sie den fliegenden Fisch von Fukushima nannten. Als ich die drei Japaner bei einem Ländervergleich in Rom schlug, sprangen die Zuschauer bekleidet zu mir ins Becken, um mich zu umarmen.

Und Sie?

Da denkst du, du bist Gott. Dass man trotzdem nur irgendein Trottel ist, das versteht man in dem Alter nicht.

Er stellte einen Rekord auf

Bei den italienischen Meisterschaften am 19. September 1950 sind Sie die 100 Meter Freistil als erster Italiener unter einer Minute geschwommen, im damals noch üblichen 25-Meter-Becken …

… und das, obwohl ich zuvor mit meiner Familie nach Brasilien ausgewandert war. Zwischen 18 und 21 bin ich überhaupt nicht geschwommen. In einem Alter, in dem man als Schwimmer eigentlich die größten Erfolge feiert. Zurück in Rom habe ich ein wenig geboxt, bin zum Ausgleich locker geschwommen, um nach dem Boxtraining die Muskeln aufzuweichen. Wenige Monate später knackte ich die Minute.

55,9 Sekunden war später Ihre Bestzeit.

Das schwimmen heute die kleinen Mädchen. Wenn die italienische Olympiasiegerin Federica Pellegrini zu den 800 Metern antritt, dann passiert sie bereits die ersten 100 davon mit einer Zwischenzeit unter einer Minute.

Vergleichen Sie mal den Sport damals mit heute!

Heute ist das ein viel zu großes Spektakel. Da sind zu viele Sponsoren im Spiel. Die jungen Sportler haben zu viel Geld. Die fahren mit den größten Autos durch die Gegend. Dabei sind sie noch nicht einmal richtig erwachsen. Da kann man ja nicht normal bleiben.

Gibt es heute einen Sportler vor dem Sie Respekt haben?

Vor dem Fußballer Alessandro Del Piero von Juventus Turin. Er ist 37 Jahre alt, bescheiden, intelligent, und er spielte diese Saison noch Weltklasse.

In kaum einem Sport wird so hart trainiert wie unter den Schwimmern. Zwei Trainingseinheiten am Tag, stundenlang im Wasser. Wie öde.

Heute schwimmen Spitzenathleten zehn bis zwölf Kilometer am Tag. Ich schwamm höchstens einen Kilometer damals, nach einem halben Stündchen war das Training vorbei. Ich habe meinen Körper nie massakriert, ihn nie voll ausgepowert. Das war damals nicht üblich.

Sie waren faul.

Nein, ich gewann. Ich war drei Jahre lang italienischer Meister im Brustschwimmen, sieben Jahre im Freistil. Warum sollte ich mehr trainieren? Einmal unterhielt ich mich mit dem japanischen Weltmeister Tsuyoshi Yamanaka – bei den Japanern war das anders. „Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich lasse die Finger von den Frauen“, sagte er mir voller Stolz. „Und wozu lebst du dann?“, fragte ich ihn.

Warum er rauchte

So kann ein Neapolitaner nicht leben!

Ich war ein Genussmensch, jung und gedankenlos. Ich habe viel gefeiert, die Frauen geliebt. Ich war ein Rebell, bin mit brennender Zigarette ins Schwimmbad gekommen.

Sie haben geraucht? Als Leistungssportler?

Ich habe immer geraucht, seitdem ich 14 Jahre alt war. Das hat niemanden interessiert. Es gab keine Gesetze, es hieß nicht, ein großer Champion darf nicht rauchen. Es zählte nur eins: Wir mussten Zeiten schwimmen, mit denen wir es mindestens ins Halbfinale schafften, dann wurden wir zu den Olympischen Spielen mitgenommen. Dass ich ohne zu rauchen Weltmeister hätte werden können – das habe ich damals nicht verstanden.

Waren Sie sehr eitel?

Ja.

Welche Statur hatten sie damals?

Ich hatte schon einen robusten, massigen Körper. Das schränkte mich ein. Beim Schwimmen läuft alles über das Herz und die Lunge. Bei größeren Distanzen war ich deshalb nie unter den Besten.

Johnny Weißmüller, der 18 Jahre vor Ihnen als erster Mensch überhaupt die Minuten-Marke knackte, ging später als Tarzan in die Filmgeschichte ein. Sie lebten im Rom der 1950er-Jahre. Dolce Vita. Cinecittà. Das muss einen jungen Mann wie Sie in den Bann gezogen haben.

Halb Rom tummelte sich damals in Cinecittà. Es war die Zeit der großen Historienfilme. Muskelpakete wie mich konnten sie gut gebrauchen. Ich hatte einige Kleindarstellerrollen, auch im Kassenschlager „Quo Vadis“, bei dem auch die noch völlig unbekannte Sophia Loren Statistin war.

So haben Sie Gefallen an der Filmwelt gefunden.

Sie werden mir das jetzt nicht glauben, aber ich fand Cinecittà schrecklich. Ein seltsamer, fremder, langweiliger Ort. Man wurde schlecht bezahlt. 2500 Lire gab es als Komparse am Tag...

Das waren 17,50 Mark oder der Wert von 23 MickyMaus-Heften. Was mussten Sie dafür tun?

Ich spielte eine der Wachen Neros – den Peter Ustinov verkörperte. Da stand ich also in einer Prätorianer-Rüstung bei 40 Grad in der brennenden Sonne herum, der Schweiß rann mir den Rücken runter. Und ständig diese Avancen eines Regieassistenten, der mir eine Karriere in Amerika versprach, falls ich mich auf ihn einlassen würde. Irgendwann schmiss ich die Sandalen in die Ecke und verließ das Set.

Hatten Sie Träume?

Ich studierte Chemie. Ich hatte am Gymnasium zwei Klassen übersprungen und durfte schon mit 15 die Universität besuchen.

Ein Streber!

Ich hatte ein gutes Gedächtnis. Die Anabasis von Xenophon konnte ich auf Altgriechisch auswendig aufsagen – und verstand doch kein Wort davon. Das hat die Lehrer beeindruckt. Alle, bis auf den Philosophielehrer. Der konnte es nicht leiden, dass ein muskelbepackter Schwimmer mit überschäumendem Temperament es sich so einfach machte. Der sagte immer nur: „Pedersoli, zwischen Ihnen und mir liegt ein ganzer Abgrund.“

Haben Sie das Chemiestudium abgeschlossen?

Nein. Später habe ich auch noch Jura studiert und gemeinsam mit meiner Tochter Soziologie. Aber einen Abschluss habe ich nie gemacht, in keinem der drei Fächer. Es kam immer etwas dazwischen.

Warum Bud nach Venezuela auswanderte

Wie wurde aus Ihnen dann doch noch ein Kinostar?

Erst einmal brauchte ich Abstand. Mit 27 habe ich alles stehen und liegen lassen und bin nach Venezuela gegangen. Ich war kein Champion mehr und auch kein genialer Chemiker. Ich hatte Angst, zur Karikatur meiner selbst zu werden. Da saß ich also am Amazonas und heulte wie ein Schlosshund. Anderthalb Jahre bin ich als Truck-Fahrer durch den Dschungel gefahren, habe viel nachgedacht und versucht zu verstehen, wer ich wirklich bin.

Und?

Ich habe verstanden, dass ich kein Feigling sein darf, dass ich mutig sein muss. Ich bin zurück nach Rom und habe meine damalige Freundin und heutige Frau Maria geheiratet.

Maria Amato, die Tochter des Filmproduzenten Giuseppe Amato, der Filme wie „La Dolce Vita“ und „Fahrraddiebe“ ins Kino gebracht hat.

Ja, mein Schwiegervater war der größte Filmproduzent den Italien, ach, Europa je gehabt hat.

Und der hat seinen Schwiegersohn, den ehemaligen Schwimmstar, dann zu Bud Spencer gemacht.

Was reden Sie da? Nein, nein! Darüber hatten wir beide nie gesprochen. Ich verkaufte Autos und Autolacke damals. Weder er noch ich selbst sahen mich als Schauspieler. Erst drei Jahre nach seinem Tod rief ein anderer Regisseur – Giuseppe Colizzi – bei meiner Frau an. Ob ich immer noch so muskulös sei wie damals bei den Olympischen Spielen, fragte er sie. „Nein“, antwortete, sie, „viel dicker. Er frisst nur noch und macht keinen Sport mehr.“ Genau so einen suchte er für eine Rolle.

„Gott vergibt … Django nie!“, so hieß Ihr erster großer Film.

Ich bekam vier Millionen Lire dafür. In der Hauptrolle spielte ein gewisser Mario Girotti, der damals bereits durch Filme wie „Der Leopard“ von Luchino Visconti bekannt war.

Mario Girotti nannte sich später Terence Hill. Sie wurden zu Bud Spencer. Warum eigentlich?

Ich hatte Angst, durch einen Flop meinen guten Ruf als Schwimmer kaputt zu machen. Außerdem waren amerikanische Namen beliebt damals. Bud wie das Bier und Spencer wie Spencer Tracy.

Schwimmen Sie heute noch?

Ich habe ein kleines Becken zu Hause, meine Frau hat es ausgesucht. Es ist klein und rund, es hat die Form einer Bohne. Das bringt’s nicht. Darin kann man keine ordentlichen Bahnen ziehen. Nur ein bisschen Plantschen. Aber meiner Frau gefällt's.

Sie sind jetzt 82 Jahre alt. Rauchen Sie noch?

Und wie! Ich kann es kaum erwarten, mir gleich wieder eine anzuzünden.

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