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© David Baltzer

Theaterpreis: Hier, jetzt und immerdar

Im Reich der Kinder: Die Verleihung des Berliner Theaterpreises an Jürgen Gosch und Johannes Schütz im Deutschen Theater.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Berliner Theaterpreis geteilt wird. Im Jahr 2000 bekamen ihn Frank Castorf und Henry Hübchen, ein Regisseur und sein Schauspieler. Seitdem scheint so viel Theaterzeit vergangen zu sein, weit mehr als neun Jahre.

Der Berliner Theaterpreis spiegelt die sich schnell verändernden Theatersprachen, Moden und Formen, die Ästhetik des theatralen Selbstverständnisses in der Hauptstadt, und nicht nur hier. Der erste Preisträger hieß 1988 George Tabori. 1989 waren Peter Stein und Karl-Ernst Herrmann dran, 1995 Claus Peymann und sein Dramaturg Hermann Beil, 2004 Christoph Marthaler und Anna Viebrock; zwei Mal also schon ein Regisseur und ein Bühnenbildner. Roland Schimmelpfennig hat ja so furchtbar Recht, wenn er in seiner Laudatio auf Jürgen Gosch und Johannes Schütz, die Preisträger von 2009, am Sonntagmittag im Deutschen Theater sagt: „Das wirklich Schöne, das Schreckliche des Theaters ist seine Vergänglichkeit.“ Dagegen hilft im Grunde auch keine Fernsehaufzeichnung.

Bald zwei Jahrzehnte arbeiten sie zusammen, der Regisseur Gosch und sein Bühnenbildner, sein Ausstatter Schütz. Und Schimmelpfennig ist so etwas wie der Dritte im Bunde. Nicht viele Dramatiker kennen das Glück, von einem solchen Regie- und Raumteam beständig uraufgeführt zu werden. Beim Theatertreffen ist die Zürcher Aufführung von Schimmelpfennigs „Hier und Jetzt“ dabei, und natürlich die Gosch/Schütz-„ Möwe“ vom Deutschen Theater.

Dort hatte am Dienstag „Idomeneus“ Premiere, Schimmelpfennigs mythologische Tragödienfarce – wobei sich dieser wunderbare Text für elf Schauspieler jeder Genrezuweisung entzieht. Was für eine Woche: Zum „Idomeneus“ konnte Gosch noch kommen, erlebte die Ovationen im Rollstuhl. Den Berliner Theaterpreis persönlich in Empfang zu nehmen, das hat ihm das Krebsleiden verwehrt. Der Regierende Bürgermeister wünscht ihm „Kraft für den Kampf gegen die Krankheit und für weitere Inszenierungen“, als er die mit 20 000 Euro dotierte Auszeichnung der Stiftung Preußische Seehandlung Johannes Schütz und stellvertretend der Schauspielerin Dörte Lyssewski überreicht. Wowereit sagt, sichtlich bewegt, dass Gosch leider nicht da sein könne, aber doch da sei. Wie tief sitzt in dem Moment Schimmelpfennigs Wort von der Vergänglichkeit, wenn Theater so mächtig und verrückt ins Leben hineingreift.

„Alles ist spielbar, solange es im Text vorkommt.“ Das ist der Leitsatz der Laudatio, ihre Kopfnote. „Gosch und Schütz sind scheinbar durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Die beiden lieben die Unmöglichkeit, die Überforderung.“ Sie zeichnen sich aus durch „Radikalität, Kraft, Sturheit.“ Etwas Ähnliches sagt auch Joachim Sartorius, der Intendant der Berliner Festspiele: „Gosch hat uns auf radikale Art und Weise den Glauben an das Theater zurückgegeben.“ Wie radikal es in der Werkstatt von Gosch und Schütz zugeht, entwirft Schimmelpfennig in der Vision von einem Stück, das er für die beiden schreiben möchte.

In diesem neuen Stück würde der Dramatiker wenn möglich auf Handlung, Sprache und Erzählung verzichten. Es wäre ein einziger, langer Moment, wie in Filmen von Antonioni. Es wäre, so viel Hintergrund nur, ein Garten hinter einem Restaurant im Westen Berlins, eine Familienfeier. Kinder würden da spielen, stundenlang, und das wären die Gosch-Schauspieler aus den Tschechows und den Schimmelpfennigs, und all die Schauspieler dieser großen Theaterfamilie würden auch das Gras, den Wind, die Sonne darstellen, die untergehende Sonne.

Und wie Roland Schimmelpfennig am Rednerpult sein Gosch-Stück ausmalt, den Nachmittags des Familienfests, der in die Kühle des Abends übergeht, sieht man es vor sich, das elysische Treiben in seiner kindlichen Erhabenheit und Lächerlichkeit. Denn, so löst Schimmelpfennig den Frühsommertraum auf, Gosch und Schütz lieben auch die „Verwüstung, die große Sauerei.“ In den Räumen des Johannes Schütz „toben die Elemente.“

Es hätte unter diesen Umständen eine bedrückte Matinee werden können. Doch die Kinder, Goschs Schauspieler, lassen das nicht zu. Dörte Lyssewski, Kathrin Wehlisch, Charly Hübner, Wolfgang Michael und Ernst Stötzner stürzen sich noch einmal in „Das Reich der Tiere“, Schimmelpfennigs DT-Backstage-Komödie in der Regie von Gosch, im Bühnenbild von Schütz, eine große, anarchische, komische Sauerei. Fünf Akteure, nackt, in Tiergestalten, beschmiert mit Farbe und Federn. Ein Zoo der Eitelkeiten und des Schauspielerseins, des Scheiterns, der Verkleidung und Verzauberung, der Träume. Eine Skulptur des Lebens.

Rüdiger Schaper

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