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Die Rückkehr des Hugo Ball. Holger Stockhaus im Dadaisten–Kostüm.

© Eventpress Hoensch

Bühne: Dada war mal, Gaga geht noch

Rainald Grebes neue Revue am Gorki-Theater: Der Lieblingskabarettist des akademischen Mittelstandes präsentiert einen Dada-Abend.

Darauf haben wir doch gewartet: „Eine Show, in der es endlich mal wieder um was geht“, verspricht Rainald Grebe, der Chef-Ironisator jedweder Biedermeier-Boheme. „Worum“, platziert er bestens gelaunt seine erste Pointe, „das erfahren Sie später!“ Natürlich hält Grebe Wort: Die Sinnentblätterung wird kompromisslos aufgeschoben – bis über das Ende der Veranstaltung hinaus. Schließlich heißt der Abend im Maxim-Gorki-Theater „Dada Berlin“. Was das bedeutet, referiert die Schauspielerin Cristin König vorsichtshalber noch einmal so Wikipedia-affin wie kettenrauchend vor dem Overheadprojektor: „Im Wesentlichen war Dada eine Revolte gegen die Kunst vonseiten der Künstler selbst, die die Gesellschaft ihrer Zeit und deren Wertesystem ablehnten.“ Die charmanten Mitglieder der hauseigenen Senioren-Theatertruppe „Golden Gorkis“ müssen dazu bei Strafe des Rohrstocks die Namen der Gründungsmitglieder in den Raum bellen wie Grundschüler das Einmaleins: Hugo Ball, Richard Huelsenbeck, Hans Arp ...

Heute, knapp hundert Jahre nach dem Zürcher Dada-Startschuss, da das Anforderungsprofil „Sei unkonventionell“ als eine Art kollektiver Imperativ gilt, ist der künstlerische Angriff auf das „Wertesystem“ Massenware. Ein zweiter Aspekt macht dem zeitgenössischen Dadaisten das Leben schwer: „Natürlich hat die Realität die Kunst überholt“, konstatiert Heinz Rudolf Kunze, der seine Sängerkarriere mit einem abgeschlossenen Germanistikstudium in der Tasche startete, per Videoeinspieler. „So absurd kann man gar nicht sein wie die ,Tagesschau’!“

Entsprechend covern die Gorki-Akteure Cristin König, Wilhelm Eilers und Holger Stockhaus eine Folge des Fernseh-Erfolgsformats „Landlust TV“ – Schwerpunkt: Wie bastele ich mir ein Lavendelsäckchen? – als pseudo-avantgardistisches Salondrama. Die Herzschmerz-Lyrismen jugendlicher Songwriter werden ebenso durch den Wolf gedreht wie die kostümierten Szenenstudien der nachrückenden Schauspielergeneration von der Berliner Vorzeigeschule „Ernst Busch“. Den grandiosesten Auftritt des Abends hat – neben dem einmaligen Premieren-Überraschungsgast Thomas Quasthoff – Holger Stockhaus als Wiedergänger des US-amerikanischen Malers Bob Ross, der dem Publikum seiner TV-Sendung „The Joy of Painting“ die Malerei in einer Mischung aus Handwerk und Therapie nahebrachte. Der Abend lohnt sich schon allein dafür, Stockhaus hochnotkomisch zwischen Publikumserbauung und Triebstau balancieren zu sehen, bis seine biedere Landschaftsmalerei in Richtung Jackson Pollock entgleist.

Grebe hält sich in seiner Kerndisziplin, dem Singen, zurück. Mehr noch als seine letzte Show am Gorki, der Wahlkampfabend „Völker schaut auf diese Stadt“, will der Zweistünder „Dada Berlin“ ein Sprechbühnen-Event sein – was zum Kern des Abends führt. Die konsequenteste dadaistische Note bekommt Grebes Nummernrevue dadurch, dass der Lieblingskabarettist des akademischen Mittelstandes zwar der beste Brandenburg-Besinger und witzigste Prenzlauer-Berg-Basher ist, aber kein Theaterregisseur. Was ihm die Möglichkeit eröffnet, das „Theater unserer Zeit und dessen Wertesystem“ erfolgreich zu attackieren, mittels einiger dramaturgischer Durchhänger und unorthodoxer Szenenbau-Maßnahmen. Dada mag gealtert sein, Gaga lebt fort. Christine Wahl

Wieder am 2. und 20. 11., 19.30 Uhr

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