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Da geht’s zu den Sternen. Peter Keller spielt „Disabled Theatre“.

© Bresadola/drama-berlin.de

Bühne: Der Super-HAU

Der Auftakt ist gelungen: Annemie Vanackere eröffnet ihre erste Spielzeit im Hebbel am Ufer. Aber auch die Berliner Festspiele machen plötzlich Off-Programm. Das tut der Kunst nicht gut.

Der Fuchs an der Bar schaut ein wenig verwirrt aus dem Pelz. Wie hier alles strahlt, die Wände frisch gestrichen, der Boden mit hellem Teppich belegt, über dessen Muster man leicht stolpert im Gedränge! Aber der Fuchs kann nicht fliehen vor den vielen Menschen im oberen Foyer des HAU 1, er ist ausgestopft. Er war schon immer da. Hat unendlich viel gesehen in all den Jahren, die Matthias Lilienthal das Hebbel am Ufer geleitet, ach was, gelebt hat. Es wird den alten Fuchs freuen, dass die neue Chefin Annemie Vanackere Tiere mag. Die HAU-Plakate zeigen Panther, Äffchen und Fuchs. Porträtiert, nicht präpariert. Im Wirtshaus WAU hängt in Neonschrift „Miau“.

Gute Laune überall, und alle da, wie man so sagt. Annemie Vanackere hält eine fröhliche Rede, die ans Herz geht, überhaupt steckt ja in einer Theatereröffnung viel Geschichte, Erinnerung, Lebenszeit, Erwartung. Theater, sagt sie, könne eine höhere Form der Zeitverschwendung sein, eine exklusive Gemeinsamkeit, wie die Liebe. Und beide, die Liebe wie das Theater, wären dann Orte des Widerständigen. Annemie Vanackere tritt zwei Mal an diesem Abend auf. Erst im HAU 2, dort läuft zum Auftakt die Revue „Vision out of nothing“ mit der Gruppe Wunderbaum. Die Holländer fragen, was für ein Theater wir wollen. Sie tun das locker, sprunghaft, leicht, für manch einen Eröffnungsgast zu leicht. Im HAU 1 läuft zur gleichen Zeit Jérôme Bels „Disabled Theatre“, und der meint es ernst. Dort also spricht Annemie, wie sie jetzt schon von tout le monde genannt wird, zum zweiten Mal, und Klaus Wowereit begleitet sie auf der Tour. Erst Haus 2, dann Haus 1. Der Regierende ist fein drauf, begrüßt mit Kulturbesitzerstolz die Intendantin und gibt ihr für die nächsten fünf Jahre charmant mit auf den Weg: „Einfach wird’s hier nie sein. Das ist das Spannende in Berlin.“

Einfach ist die Aufführung nicht, die der Choreograph Jérôme Bel mit geistig behinderten Schauspielern aus der Schweiz eingerichtet hat. Nacheinander stellen sie sich vor, nennen ihre Behinderung beim Namen, dann tanzt jeder zu seinem Lieblingslied ab: Michael Jackson, Abba, Hansi Hinterseer. Werden sie hier vorgeführt, ist das eine Freak-Show oder geschieht genau das Gegenteil? Bels strenge Dramaturgie – die Akteure müssen viel und lange still sitzen – bringt einem die Menschen näher. Sie spielen nicht etwas, sie spielen sich selbst. Viele solche Stücke sah man schon, mit Monologen am Mikro, wie wenig hatten die „normalen“ Schauspieler zu sagen! Da war es meist fahles Konzept. Hier öffnen sich Körper und Seele. Wenn das programmatisch wäre für das Kommende, warum nicht?

Auch die Berliner Festspiele haben einen neuen Intendanten, Thomas Oberender. Er leitete zuvor das Schauspielprogramm der Salzburger Festspiele, der Großmutter aller Festivals in Europa, die heute viele Kinder und Kindeskinder überall hat. Die Festspiele suchen neue Wege. Vor ein paar Tagen gingen die „Foreign Affairs“ zu Ende, die erste große Umstellung der Oberender-Intendanz. Frie Leysen, eine erfahrene Kuratorin, hat sich dieses „Internationale Festival für Theater und performative Künste“ ausgedacht, einen vollen Monat mit 22 Produktionen. Das Publikum im Festspielhaus wirkte verjüngt, das Experiment war erfolgreich. Doch es hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

Die „Foreign Affairs“ bespielten nicht nur ihre wunderbare große Bühne in der Schaperstraße, sie griffen aus in die Off-Szene. Kleinere Stücke liefen in den Sophiensälen und im Ballhaus Ost, sie waren nicht zu unterscheiden von dem Programm, das dort übers Jahr angeboten wird. Das gilt aber auch für die aufwendigeren Produktionen, die im Haus der Berliner Festspiele zu sehen waren. Anne Teresa de Kersmaeker und Romeo Castellucci gastierten früher im Hebbel am Ufer, wie überhaupt Frie Leysens Auswahl einen starken HAU-Einschlag hatte. Man operiert auf einem Markt, der bei aller Internationalität nicht unerschöpflich ist. Hier mischen viele mit, selbst die Documenta; dort war Jérôme Bels „Disabled Theatre“ auch zu Gast.

Das Problem ist: Mit der neuen Ausrichtung der Berliner Festspiele auf das „Performative“ entsteht in Berlin eine ungünstige Konkurrenzsituation. Sie dürfte sich zuspitzen, wenn ab kommendem Sommer Matthias von Hartz, zuletzt in Hamburg auf Kampnagel tätig, die „Foreign Affairs“ übernimmt; Frie Leysen zieht weiter zu den Wiener Festwochen. Die nächste Ausgabe der „Affairs“ findet im Juni/Juli 2013 statt, und man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie das HAU und der dem HAU zugeordnete „Tanz im August“ mit den Festspielen um Ensembles und Neuproduktionen ringen. So viel Sehenswertes gibt es da draußen auch wieder nicht, dass sich in Berlin ein Sommerfestival der Festspiele, ein Sommertanzfestival und vor allem eine ganze Spielzeit im HAU damit bestücken lassen. Es ist eine unerfreuliche Entwicklung, dass künftig eine vom Bund finanzierte Institution (die Festspiele) einem vom Berliner Senat getragenen Theater (dem HAU) entgegentreten.

All das könnte man als kleinliche Kulturordnungspolitik abtun, hätte es nicht erhebliche Konsequenzen für das Publikum. Denn da die Berliner Festspiele sich offensichtlich auch als Motor der freien Szene begreifen und Stücke bringen, die das HAU und die kleineren Off-Häuser ebenso gut zeigen können und müssen, gehen herausragende Künstler und ihre Arbeiten an Berlin vorbei. Nur ein paar Beispiele, die Liste ist lang: Die Brooklyn Academy of Music in New York hatte gerade Pina Bauschs Compagnie zu Gast, dort pflegt man das Werk der 2009 verstorbenen Choreografin seit Jahren und Jahrzehnten. Nicht in Berlin. In Avignon spielten diesen Sommer William Kentridge und Simon McBurney, bei der Ruhrtriennale gastierte Robert Lepage, die Wiener Festwochen und die Ruhrfestspiele in Recklinghausen zeigten „Groß und klein“ von Botho Strauß, einst an der Schaubühne in Berlin uraufgeführt, in einer australischen Produktion mit Cate Blanchett. Nichts davon ist hier zu sehen.

Die Berliner Festspiele scheuen Prominenz, die berühmten Namen, als seien diese längst Geschichte, genügten nicht dem Anspruch des ewig Neuen und hätten nichts mehr zu sagen. Berlin ist manchmal ein Theaterdorf. Bei der Vorgängerin der „Foreign Affairs“, der „Spielzeit Europa“, war es anders. Deren Leiterin Brigitte Führle suchte das größere Format, das „große Gefühl“. Sie hat sich manches Mal dabei verhoben und vertan, nur: Die Richtung war nicht falsch. Was spricht dagegen, Isabelle Huppert in einem Stück aus Paris zu erleben? Jetzt bekommt man hier immer mehr vom Gleichen. Der experimentelle Theatergedanke hat den Mainstream übernommen und das Wort Festival seine Bedeutung verloren. Es bezeichnet den Alltag.

Die Berliner Festspiele sind im internationalen Vergleich finanziell nicht üppig ausgestattet. Aber sie sind immer noch größer als das HAU oder die Sophiensäle. Die Festspiele wollen ein Super-HAU sein. Das ist ihre konzeptionelle Entscheidung. Eine klare Ansage: Ihre „Auswärtigen Angelegenheiten“ wirken nach innen, setzen lokale Akzente und nähren sich vom bereits Bestehenden. So machen sie sich klein.

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