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© Arno Declair

Berliner Theatertreffen: Zurück ins Basislager

Die Räuber: Ulrich Khuons Hamburger Thalia Theater war in den letzten Jahren Stammgast in Berlin. Diesmal kommt Nicolas Stemann mit seiner wilden Schiller-Performance.

Nordnordost, das ist Ulrich Khuons Reiserichtung. Konstanz, Hannover, Hamburg. Ab Sommer wird er das Deutsche Theater Berlin leiten. Nach neun Jahren Hamburg fällt Khuon der Abschied vom Thalia Theater schwer. „Es ist richtig, jetzt zu gehen. Aber es gibt keine innere Stimme, die mich aus Hamburg wegtreibt, insofern ist der Trennungsschmerz relativ stark.“ Kein Wunder, hat Khuon doch neun glanzvolle Jahre hinter sich, in denen er das Thalia Theater zum erfolgreichsten Theater des Landes gemacht hat. Und zum Stammgast des Berliner Theatertreffens.

Diese Erfolgsgeschichte beginnt mit einem Skandal: Im Dezember 2000 – Kriegenburgs Spielzeiteröffnung mit „Nachtasyl“ ist eher klanglos vorübergezogen – inszeniert Michael Thalheimer „Liliom“. Radikal reduziert er die Figuren auf ihr emotionales Unvermögen, inszeniert mit Peter Kurth in der Hauptrolle ein langes Anfangsschweigen und einen noch längeren Selbstmord Lilioms. Die Hamburger Bürger sind entsetzt, fordern lautstark Werktreue und die Einhaltung von Tabus. Doch als die Inszenierung wenige Monate später zum Berliner Theatertreffen eingeladen wird, sind die Gemüter beruhigt, Khuons Team ist in Hamburg angekommen. Ein Beweis dafür, wie wertvoll Theatertreffen-Einladungen sein können.

Thalheimer ist eine der Kernfiguren im Thalia-Quartett, neben Stephan Kimmig, Armin Petras und Oberspielleiter Andreas Kriegenburg. Es sind vier höchst verschiedene, bis auf Kriegenburg auch in Berlin aktive Theatermacher, vom minimalistischen Stücke-Reduzierer über den psychologischen Analytiker und den anarchischen Performer bis hin zum verspielten, manchmal an der Kitschgrenze inszenierenden Theaterfantasten. Diese vier Handschriften ziehen sich wie ein roter Faden durch neun Jahre Khuon-Ära, erzählen von Kontinuität genauso wie von Vielfalt. Jeder dieser Regisseure wird in seiner Thalia-Zeit mindestens einmal zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Khuon ist so etwas wie der größte Zulieferer zu dem Festival in der Hauptstadt, Jahr für Jahr dabei, wie früher das Schauspielhaus Bochum oder die Berliner Schaubühne.

Mit den „Räubern“, seiner vierten und jüngsten Arbeit am Thalia Theater, wird Nicolas Stemann das Hamburger Haus diesmal in Berlin vertreten. Mit vier Schauspielern (Philipp Hochmair, Daniel Hoevels, Felix Knopp und Alexander Simon) besetzt er die Brüder Moor. Zunächst sind sie alle Franz. Streng gescheitelt stecken sie in engen Pullundern und Krawatten (Kostüme: Esther Bialas), ein paar wilde Gesten später spielen sie Karl. Trinkend und grölend ziehen sie durchs Parkett, beschließen in lässiger Hip-HopKlüngelei bald die Räuberei. Dass diese nicht gut enden wird, weiß man spätestens, wenn Amalia (Maren Eggert) ihr gänsehaut-rauchiges Liebessehnsuchtslied anstimmt.

In seiner Inszenierung gelingt Stemann ein extrem feinnerviger, dichter und genauer Abend, der von der Liebe genauso erzählt wie vom Hass, vom weisen Alter genauso wie von Sturm-undDrang-Jugend. „Die Räuber“ bewegen sich geschickt zwischen dröhnendem Rockkonzert, berührenden Figurenseelen und kühler Generationenanalyse, sind ein kluger Theaterabend über Väter und Söhne, über Identitätsverlust und Orientierungslosigkeit.

„Stemann nimmt Schillers Worte ernst, Wort für Wort, wie eine Partitur. Indem er die Figuren nicht eins zu eins besetzt, erleben wir diesen Text zum einen extrem werktreu, zum anderen in seiner ganzen Künstlichkeit“, begeistert sich der Intendant, der Nicolas Stemann gerne früher engagiert hätte. Aber er sei nun mal „kein Hals-über-Kopf-Typ“, sein Arbeitsprinzip die langsame, ruhige Annäherung.

Doch auch der klügste Regisseur ist nur so klug wie seine Schauspieler. Und diese erwiesen sich am Thalia Theater als tatsächlich herausragend. Fritzi Haberlandt, Peter Kurth und Peter Moltzen waren in den Anfangsjahren prägend, doch dass ihr Weggang im Jahre 2006 nicht negativ auffiel, beweist die Großartigkeit des fast 40-köpfigen Ensembles. Dessen Mitglieder wurden zu Schauspielern und Nachwuchsschauspielern des Jahres ernannt, sind mittlerweile in jedem zweiten „Tatort“ und im deutschen Autorenkino zu sehen. Mülheimer Ruhm und zudem Stückepreis-Ehren wurden den von Ulrich Khuon geförderten zeitgenössischen Dramatikern zuteil. Mit großer Ausdauer hat er – neben Shakespeare, Tschechow und Schiller – regelmäßig Uraufführungen von Dea Loher, Elfriede Jelinek, Anja Hilling, Lukas Bärfuss und Fritz Kater auf den Spielplan gebracht, meist ganz bewusst auf die große Bühne, „um damit nicht in einem geschützten Speziallabor zu experimentieren“.

Ruhig, bedacht und niemals anbiedernd hat Khuon auf Kontinuität gesetzt, hat langjährige Kooperationen unterstützt, wie etwa die zwischen Andreas Kriegenburg und Dea Loher.

„Was wir nicht geleistet haben und auch nicht leisten wollten“, gesteht der scheidende Intendant mit einer gewissen Genugtuung, „ist diese Ablenkungskomödiantik. Das leichte Amüsement, die reine Unterhaltung. Mein Wunsch war schon immer, dass Theater Menschen erschüttern soll.“ Das ist ihm oftmals gelungen. Und nicht nur das. Seinem Nachfolger Joachim Lux, vormals Chefdramaturg am Wiener Burgtheater, hinterlässt Khuon das Haus mehr als besenrein: Stetig steigende Besucherzahlen – in der vergangenen Spielzeit waren es 282 000 bei 847 Vorstellungen (ohne Sommerbespielung und auswärtige Gastspiele) –, 6760 treue Abonnenten und zum jetzigen Zeitpunkt bereits 859 413 Euro erwirtschaftete Rücklagen, Tendenz steigend.

Ob er zufrieden ist? Khuon wägt ab: „Das ist schwer rauszukriegen. Ich bin eher ein Mensch des Dazwischen; kein Starter und kein Aufhörer. Das Mittendrinsein macht mir mehr Spaß. Aber zufrieden mit dem, was wir hier miteinander hingekriegt haben, bin ich schon.“

Nach Berlin nimmt er seine Autorentheatertage mit, seine starke Dramaturgie, einige Regisseure, darunter Andreas Kriegenburg als Hausregisseur, und zahlreiche Thalia-Schauspieler. Tatsächlich scheint so der Wechsel an das Deutsche Theater keine übermächtige Herausforderung zu sein, ähneln sich doch die Häuser in Struktur und Größe. „Es ist trotzdem ein ganz neuer Schritt“, widerspricht Khuon. „Es sind zwar alles ähnliche Berge, der Nanga Parbat, der Mount Everest, der K2. Und doch beginnt man ja wieder im Basislager. Aber es kann immer alles passieren, es kann einen Sturm geben oder einen Erdrutsch. So ein Unternehmen wirkt von außen immer viel stabiler, als es ist.“

In Hamburg wird man den besonnenen Bergsteiger vermissen. Und man verzeiht ihm auch gern die letzte, eher mittelmäßig geratene Spielzeit. „Durch dick und dünn“ wollte Khuon mit seinen Regisseuren gehen. Das Versprechen, das ein wenig nach Pfadfinderbande klingt, hat er über all die Jahre eingehalten.

Katrin Ullmann

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