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Deutsches Theater: Ab in die Kiste

Premiere (2): Andreas Kriegenburg veralbert den "Hamlet" am Deutschen Theater.

Pling. Die Ballerina erwacht. Wie ein Stehauffrauchen schießt das pastellfarbene Geschöpf (Maria Wardzinska) aus einer Art Gemüsekiste hoch, schürzt die grell überschminkten Lippen und lässt sich von seinem Papa (Michael Schweighöfer) wie eine Marionette zurechtbiegen. Zwei weiß geschminkte Kollegen, die sich ebenfalls aus Gurkenkisten hochgerappelt hatten und als Kreuzungen aus Rocky Horror Picture Show und Zirkus Busch angelegt sind, hauen dazu – plingpling – fortwährend auf mechanische Klingeln. Zwischendurch wollen sie uns immer wieder mit Kaspertheater-Timbre weismachen, wie „great“ die Show sei, der wir gerade beiwohnen.

Dass sich die beiden tapferen Klingeldiensthabenden (Aenne Schwarz und Marco Portmann) in diesem Punkt leider irren, wäre nicht weiter der Rede wert – sofern wir uns nicht im Deutschen Theater Berlin befänden und die Ballerina Ophelia und ihr Papa, dessen Bauch gnädig über die Boxershorts im britischen Flaggendesign quillt, Polonius hieße. Kurzum: Bei seiner dritten Inszenierung seit Saisonbeginn – einer Arbeit mit Studenten der Schauspielschule „Ernst Busch“ – entsorgt der neue DT-Hausregisseur Andreas Kriegenburg Shakespeares Dänenprinzen „Hamlet“ buchstäblich in die Mottenkiste.

Die Bewegung, die Kriegenburg behauptet, geht freilich umgekehrt. Wenn sich zu Beginn alle weißgesichtig aus den Holzkartons schälen, mit denen die Bühnenbildnerin Julia Kurzweg das Szenario bedeckt hat, soll das suggerieren: Achtung, wir ignorieren die jahrhundertelange Rezeptionsgeschichte und fangen noch mal ganz von vorn an, ganz pur, beim (elisabethanischen) Volkstheater!

Dagegen wäre nichts einzuwenden. Vorausgesetzt, es käme dann tatsächlich Volkstheater heraus. Kriegenburgs dreistündige Inszenierung in den Kammerspielen erinnert aber eher an einen ambitionierten Pennälerscherz, der schon nach drei Minuten in biederer Wohlerzogenheit stecken bleibt. Da wird eine Blondine im Publikum als „Playmate“ angesprochen, keck das Königinnenkrönchen über die Ohrmuschel geschoben und gelegentlich – „Ich habe in dieser Szene gar nichts zu sagen; an mir liegt’s nicht, wenn’s hängt!“ – aus der Rolle gefallen. Das ist schon das Höchste des Humors.

Die Kistenbühne enthebt Kriegenburg praktischerweise der Aufgabe, größere szenische Bögen finden zu müssen. Man sitzt entweder drauf, hockt drin oder balanciert drüber – fertig. Und wenn alle Clowns sind, müssen Gott sei Dank auch keine plausiblen Figuren entwickelt werden. Man kann es sich abendfüllend auf einer einzigen Tonspur gemütlich machen.

Gemessen daran entledigen sich die Vollprofis im Ensemble ihrer Figuren souverän. Sie stecken sie hemmungslos in Klischeeschubladen. Natali Seelig versenkt ihre Königin Gertrud in der Kokserinnen-Kiste. Michael Schweighöfer hält sich den Polonius mit Volksbühnen-affiner Wurstigkeit vom Leib. Und Markwart Müller-Elmau, den als Geist von Hamlets Vater das Schicksal durchgängiger Anwesenheitspflicht ereilt, gibt würdevoll den stummen Kistensitzriesen. Bedauerlich ist dieser Clownszirkus für die Studenten, die bestenfalls mal einen Slapstick, aber keine Figuren, geschweige denn Nuancen zeigen dürfen. Christine Wahl

Wieder am 4. und 5. 11, 20 Uhr

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