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Gorki Theater: Die Society ist high

"Kaufmann von Venedig" im Gorki Theater: Armin Petras entrückt die Geschichte in ein mafiöses Berlusconi-Italien mit Musik aus dem "Paten" und von Puccini.

Jetzt hat die Wirtschaftskrise Shakespeare erwischt. In Venedig ist der Börsen-Karneval vorbei, das Feuerwerk hinterlässt stinkenden Nebel, der protzige Flagship-Store mit dem „Dolce“-Label hat dicht machen müssen und ist vernagelt. Zurück aber bleibt eine Society, die weiter high sein und sich das Feiern nicht verbieten lassen will. Als Repräsentant dieser Partygesellschaft entert ein volltrunkener Bassiano die Bühne – dass er dabei an Krücken geht, ist zwar einem Probenunfall des Schauspielers Michael Klammer geschuldet, es könnte aber auch gut ein Regieeinfall von Armin Petras sein, diesem krisenfesten Ideenproduzenten mit konjunkturunabhängig hoher Premieren-Schlagzahl. Petras inszeniert Shakespeares problematische Komödie „Der Kaufmann von Venedig“ als Kommentar zum verlorenen Kreditvertrauen. Die venezianische Oberschicht des 16. Jahrhunderts ist bei ihm eine geldgeile Modemeute, die zwar im Wasser watet, aber nicht mehr flüssig ist, weswegen ihr in der berühmten Gerichtsszene auch die Enteignung des reichen Juden Shylock mittels Rechtstrickserei nur recht kommt, um weiter im Luxus schwelgen zu können. Kaum hat Shylock sich die Kehle durchgeschnitten, saust ein Transparent vom Schnürboden und verheißt die Eröffnung der nächsten Boutique. Die Boni-Mentalität feiert ihr Comeback, und das so plakativ wie möglich.

Schon Peter Zadek hat den „Kaufmann“ in einer Wiener Inszenierung auf den merkantilen Kern hin untersucht und das Stück unter Börsianern spielen lassen. Zadek war es auch, der mit Shakespeare die beunruhigende Frage stellte, ob das Nachkriegs-Deutschland einen ekelhaften Juden Shylock aushalten könne. Von Zadeks Shakespeare-Schärfe ist Petras allerdings weit entfernt, und die Antisemitismusdebatte will er nicht führen. Derlei Erwartungen versucht er schon dadurch zu unterlaufen, dass Kaufmann Antonio mit Cristin König und Kontrahent Shylock mit Regine Zimmermann besetzt sind. Aus diesem Geschlechterdreher ergibt sich jedoch nichts Weltbewegendes. Zimmermann, die ja eine hervorragende Schauspielerin ist, bleibt meist zum unglücklichen Dabeisein verdammt.

Petras entrückt die Geschichte zudem in ein mafiöses Berlusconi-Italien mit Musik aus dem „Paten“ und von Puccini. Hier gelten die Ressentiments allen Außenseitern gleichermaßen, was Ensemble-Gast Peter Jordan zu verkörpern hat, der als zugereister Paria Lanzelot opportunistische Rechtsruck-Reden versucht („Die Neger sind in Ordnung, die Schlitzis müssen weg, und die Mongos!“). Jordans Lanzelot, der vom Diener des Juden zum Günstling Bassianos aufsteigt und endlich auch teure Anzüge tragen darf (Kostüme: Aino Laberenz) macht das Stück vor der Pause beinahe zum Ein-Mann-Kabarett. So lustig seine sangesreichen Underdog-Nummern teilweise sein mögen – über die Knallcharge kommt seine Figur nicht hinaus. So wenig wie Klammers Bassiano.

Als tumber Macho zieht er der Gefreiten schließlich gar den Schleier über und versohlt sie. Da geraten Kritik an einer misogynen Gesellschaft, in der die Frauen gerne mal als Playboy-Bunnys auftreten, und an Unterdrückungsmechanismen im Namen der Religion munter durcheinander. Wie auch in jener Szene, in der Shylocks Tochter Jessica (sehr gut: Julischka Eichel) sich erst als Schaufenster-Preziose dem Lorenzo (Andreas Leupold) anbietet und danach im Bühnenwasserbad brachial zur Christin umgetauft wird.

Am Ende bleibt sowieso nur die Gretchen-Frage: Wie hältst du’s mit dem Gelde? Um die zu stellen, hätte Petras sich auch irgendein anderes Stück nehmen und aus sicherer ironischer Distanz umgehen können. Einige verdiente Buhs für die Regie. 

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