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Gorki-Theater: Du, ich mag dich

Vom Stückemarkt des Theatertreffens auf die Bühne: „Das Prinzip Meese“ im Maxim-Gorki-Theater

So vielversprechend klang lange kein Karrierestart mehr: Der 30-jährige Dramatiker Oliver Kluck hat, wie er der Fachzeitschrift „Theater heute“ erzählte, über das Verfassen von Beschwerdebriefen zum Schreiben gefunden. Und zwar während des Grundwehrdienstes, als er strafversetzt in der bundeswehreigenen Bibliothek saß.

„Das Theater braucht dieses Stück nicht“, nimmt Kluck in seinem Vorwort denn auch eine lässig-pragmatische Pose gegenüber dem Kulturbusiness ein. „Man kann es nicht abonnieren, es gewinnt keine Nachwuchstheaterpreise, es trägt nicht dazu bei, den Lebensunterhalt des Autors zu sichern.“ Das Kulturbusiness bedankte sich natürlich postwendend mit – einem Nachwuchstheaterpreis. Kluck gewann beim jüngsten Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 5000 Euro sowie die Uraufführung seines preisgekrönten Textes „Das Prinzip Meese“, das eine Generation porträtiert, an der „alles erbärmlich“ ist. Es handelt sich um Klucks eigene.

Der 27-jährige Regisseur Antú Romero Nunes brachte das Stück nun im Studio des Berliner Maxim-Gorki-Theaters als Kissenschlacht auf die Bühne. In einer mit bunten Bettdecken und Kopfkissen ausgepolsterten Bühne (Julia Plickat) spielen zwei Vertreter besagter Generation sich selbst und passen dabei auf, dass Klischee und Ironisierung, Original und Kopie, Message und Joke möglichst ununterscheidbar bleiben. Der 30-jährige Schauspieler Michael Klammer lässt in seiner Wollstrumpfhose an der Erbärmlichkeit seiner Generation keinen Zweifel, wenn er sich vor den Zumutungen der Zeitarbeit – fünf Fremdsprachen und perfekter Abi-Schnitt für einen Fließbandjob – eher resigniert als empört in die Kissen kuschelt. Klammers kaum ältere Kollegin Anika Baumann schlüpft unterdessen in die Rollen aller pädagogischen Über-Ichs: Vom Deutsch-Leistungskurslehrer bis zur Revoluzzer-Zicke, die sämtliche Protestformen von der RAF bis zur DDR-Opposition mitgeprägt haben will.

In zehn lose aneinandergereihten Szenen ohne Figurenzuordnung bespiegelt Kluck aus verschiedenen Blickwinkeln Dauerpraktika, das Fernsehen als bildungstechnische „Vollbetreuung“ und die Unverbindlichkeit, die allerdings auch die Generation 30 plus längst erreicht hat („Ich mag dich ja auch total gerne, möchte aber trotzdem nicht mit dir zusammen sein, vielleicht können wir ab und zu mal ficken“). Kluck schreibt pointierte Sätze und verknüpft den Alltagsjargon mit Ambition: „Diese Veranstaltung hat kein Konzept“, klingt da etwa Peter Handke als literarisches Vorbild durch. „Das Konzept beinhaltet nicht die Provokation des Publikums in der Hoffnung auf die Eskalation des Publikums“.

Antú Romero Nunes, der letztes Jahr sein Regiestudium an der Ernst-Busch- Schule beendet hat und dessen hoch gelobte Diplominszenierung „Der Geisterseher“ nach Schiller bereits am Gorki läuft, hat die Ambition bewusst heruntergekocht, sich für die Ironie-Lesart entschieden, Passagen weggelassen und dafür seine beiden Schauspieler als Vertreter der „erbärmlichen Generation“ ausgedehnte Szenenübergänge improvisieren lassen. Kurzum: Er ist dem Text auf eine performative Art gerecht geworden, ohne sklavisch texttreu zu sein, und findet damit einen eigenen Zugang zum Stoff.

Davon abgesehen, improvisieren die beiden Gorki-Schauspieler derart leidenschaftlich, dass Nunes auch in puncto Schauspielerführung über Potenzial verfügen muss. Daran haben übrigens nicht nur die Zuschauer Spaß. Sondern auch der Autor strahlt beim Verbeugen eine Zufriedenheit mit Regie und Schauspiel aus, die in der Branche nicht zwangsläufig ist. Kein schlechter Anblick der Thirtysomething-Generation! Christine Wahl

Wieder am 19. 2. und 2. 3., 20.15 Uhr.

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