zum Hauptinhalt
312222_0_0f733896.jpg

© Gunnar Luesch / DRAMA.

Jette Steckels „Othello“: Fremd wie eine Frau

Im Bann der Projektionen: Jette Steckels „Othello“ an der Kammer des Deutschen Theaters versucht uns das Wirkliche auszutreiben.

Zum Glück gibt es den Aufführungsabspann, der wie ein abschließender Strich unter der Rechnung klarmacht, was an diesen zwei Stunden Sache war: Vorn auf der Bühne liegt die hingemordete Desdemona (Meike Droste) inmitten von vielen weißen Taschentüchern. Daneben steht Othello, an diesem Abend von einer Frau gegeben. Susanne Wolff versucht gerade, sich mit einem imaginären Messer umzubringen. Immer wieder rammt sie sich als Othello die Faust in den Bauch, schlitzt röchelnd in ihren Eingeweiden herum – und bleibt doch stehen. Denn Othello kann nicht sterben. Weil er gar nicht existiert und in der Inszenierung von Jette Steckel an der Kammer des Deutschen Theaters nur ein Bild ist, eine Vorstellung oder Projektion. Damit das auch der Letzte versteht, flimmern am Ende viele Abbildungen der Hauptfigur über eine riesige (Projektions!-)Fläche: Susanne Wolff als bärtiger Mann, als hohlwangiger Junkie, adrette Mamsell oder als Durchschnittsfrau. Susanne Wolff – also Othello – ist alle oder niemand.

Natürlich, darauf kann man schon kommen, wenn man einmal anfängt, angestrengt über Shakespeares Stück nachzudenken. Woman is the nigger of the world, sang John Lennon. Und bekanntlich ist Othello am Hof von Venedig ein Fremder, denn er ist schwarz. Der Schritt von dem fremden Mann Othello zur „Fremdheit“ als solcher und „dem Anderen“ ist winzig, der nächste Schritt zur „Projektion“ nur ein Katzensprung. Und handelt das ganze Othello-Drama nicht von Projektionen, von dem Flächenbrand der Imagination, den Jago (Ole Lagerpusch) im hochbegabten Othello auslöst?

Jago behauptet, Othellos innig geliebte Frau Desdemona unterhalte eine Affäre mit Cassio (Peter Moltzen), was nicht stimmt. Aber Othello zeigt sich für das Bild der untreuen Gattin empfänglich. Die Vorstellung nimmt so dämonische Züge an, dass sie über die Realität obsiegt. Der rasend Eifersüchtige tötet Desdemona und verwandelt sich dadurch in den wilden Fremden, den die anderen ohnehin schon immer in ihm sehen wollten.

Jette Steckel nimmt nun diese beiden Projektionsenden (der Fremde! und die Eifersucht!), die aus der von ihrem Vater Frank-Patrick Steckel übersetzten, stark gekürzten Textvorlage herausragen, und spinnt sich daraus etwas zusammen. Leider keinen Erzählfaden, sondern nur ein Netz aus Anspielungen und Spiegelungen. Denn das ist Steckels naseweiser Befund: Es gibt keine Realität. Die Welt besteht nur aus Bildern. Zum Beispiel aus den Bildern im Kopf des Publikums. Deshalb beginnt der Abend im Publikum. Rodrigo (Paul Schröder) und Jago erheben sich plötzlich von ihren Sitzen und beginnen einen erregten Disput. Und vorne in der ersten Reihe küssen sich Desdemona und Othello leidenschaftlich. Dass der von einer Frau gespielt wird, hat bis auf den augenzwinkernden Achtung-hier- wird-mit-Zuschreibungen-gespielt-Effekt nichts zu bedeuten.

Die erste Viertelstunde ist trotzdem stark. Denn schon steht Susanne Wolff vor dem geschlossenen Eisernen am Bühnerand und erklärt auf die Anschuldigungen des aufgewühlten Desdemona-Vaters (Helmut Mooshammer), sie habe seine Tochter verzaubert, seelenruhig, wie sie ihre Liebe gewann. Und wie Susanne Wolff dort steht, etwas breitbeinig, wie verwachsen mit dem Boden und mit tiefer Stimme sprechend, strahlt sie eine männliche Unerschütterlichkeit aus, während die anderen Höflinge doch etwas hysterisch umeinander herumflattern. Das hat nicht nur Ironie, sondern auch erzählerische Wucht. Susanne Wolff verfügt über eine unerhörte Bühnenpräsenz und den Mut zur Stille. Sie steht einfach – und ist da. Wirklich da.

Das Wirkliche will uns Jette Steckel aber gerade austreiben, und deshalb kippt jetzt der Eiserne krachend nach hinten, und aus dem Spiel wird eine blutleere Spielerei. Ein Geräuschemacher untermalt die Auftritte mit Plopps, Quietschereien und Elektrogeschepper, als wären wir im Comic. Susanne Wolff muss nicht nur ein Gorilla-Kostüm über- und wieder abstreifen, sie trägt in einer Szene mal kurzes, dann wieder langes Haar und zwischendurch zum roten kurzen Kleid auch eine wasserstoffblonde Perücke.

Einen Mehrwert haben diese Brüche und penetranten Verweise auf das sogenannte Gemachte nicht. Zumal sie auf einem Denkfehler beruhen. Angenommen, die Wirklichkeit bestünde tatsächlich nur aus Zuschreibungen, so wären doch immerhin die Gefühle, die diese Zuschreibungen nach sich ziehen, real. Aber auch sie dürfen ihre Wirkung nicht entfalten, weil Steckel den Erzählfluss immer wieder abwürgt, um Identifikation zu verhindern. Bloß warum erzählt man eine Geschichte, wenn man keine Geschichte erzählen will?

Das größte Opfer dieses Wirkungsverbotes heißt Jago. Ole Lagerpusch gibt den Strippenzieher und Illusionsmagier mit der spätpubertären, schwitzigen Intelligenz eines ewigen 19-Jährigen, der sich an seinen Klassenkameraden für die Demütigungen rächen will. Er wirkt so, als wollte er nicht nur Othello von seiner Lüge überzeugen, sondern auch das Korsett abschütteln, dass die Regisseurin ihm und den anderen umgeschnürt hat.

Wieder am 1., 14., 15., 21., 27. Dezember.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false