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© Davids/Zinken

Maxim Gorki Theater: Milan Peschel inszeniert die "Glasmenagerie"

Der Fachmann fürs Komische, Theaterregisseur Milan Peschel, bringt reinen Kitsch auf die Bühne des Berliner Gorki Theaters. Er amüsiert das Publikum mit einem Stück, das Bertolt Brecht 1945 am Brodway "völlig idiotisch" fand.

Amanda Wingfield steht kurz vorm Nervenzusammenbruch. Soeben hat sie ihrer Tochter ein Geständnis abgerungen: Der Besuch der Wirtschaftsschule, wispert das zarte Kind vom schäbigen Vintage-Sofa herüber, verursache ihm psychosomatische Magenbeschwerden. Amanda, die ihrerseits einen Sinkflug von der begehrten College-Beauty zur alleinerziehenden Mutter mit Geldsorgen hingelegt hat, schiebt fahrig die Sonnenbrille auf die Stirn. Sie sieht für ihre Tochter jetzt nur noch einen Ausweg: die Versorgungsehe. Doch selbst das gestaltet sich schwierig, weil Laura eine Gehbehinderung hat und sich an einem Lebensinhalt festbeißt, der nicht jedermanns Sache ist: Sie sammelt Glastiere. Nach zwei Stunden endet Tennessee Williams’ „Glasmenagerie“ mit einem gescheiterten Verkupplungsversuch, einem zerbrochenen Einhorn und schlechten Zukunftsaussichten.

Bertolt Brecht fand das Stück, das er 1945 am Broadway sah, „völlig idiotisch“. Man möchte ihm da nicht widersprechen. Kitschfettnäpfe säumen die rührselige, autobiografisch gefärbte Story, die von Lauras Bruder Tom – dem Kleinfamilienernährer – rückblickend als „Erinnerungsspiel“ erzählt wird. Drolligkeiten wie Amandas Aufforderung an ihre Tochter, sich stets „frisch und appetitlich“ für potenziellen „Herrenbesuch“ zu halten, sind einem Gender-fitten Publikum ja selbst im Comedy-Format nicht mehr vermittelbar.

Nun ist Regisseur Milan Peschel ein ausgewiesener Fachmann fürs Komische. Der Schauspieler, der in Frank Castorfs Tennessee-Williams-Adaptionen „Endstation Amerika“ und „Forever Young“ an der Volksbühne brillierte und immer mal ans Regiepult wechselt, entdeckt in den Wingfields eine hochnotkomische Prekariatsfamilie. Peschels Volksbühnensozialisation könnte man diesen Wingfields deutlicher nicht anmerken.

Lustvoll schwingt sich Ronald Kukulies als genervter, aber im Grunde gutmütiger Tom von einer Slapstickeinlage zur nächsten. Da wird formvollendet von Sofalehnen gerutscht, so sinnfrei wie lustig Hitchcock oder das Mafia-Genre anzitiert und in bester Volksbühnentradition hinter abgerockten Küchenzeilen hervorgenölt, dass es eine Freude ist. Cristin König schlägt als amüsant durchgedrehte Amanda auf Augenhöhe zurück. Wenn sie nicht gerade in betriebsamer Schräglage durch die Einzimmerbude (Bühne: Moritz Müller) berserkert, wirft sie den gesamten Porzellantellerbestand zu Boden. Sie schafft es, aus dieser schwierigen, verstaubten Rolle eine absolut heutige Unterhaltungskünstlerin herauszuholen. Der von Tom für Laura angeschleppte Heiratskandidat Jim (Andreas Pietschmann) schließlich berichtet unter akuten Stotteranfällen von seinem erfolgreich abgeschlossenen Rhetorikkurs für künftige Leitungsfunktionäre.

Kurzum: Man amüsiert sich prächtig im Maxim Gorki Theater, gern auch unter Niveau. Was da diese brennende Mülltonne soll, die plötzlich im Hintergrund auftaucht, warum die perfekte Blümchentapete vor dem Eheanbahnungsversuch von der Bretterwand gerissen und nur zu einem Zehntel neu tapeziert wird oder wieso es überhaupt „Die Glasmenagerie“ sein muss – solche kleinen Spießereien rücken zusehends in den Hintergrund.

Allerdings spült Peschel den bewährten Volksbühnenstil leider auch immer offensichtlicher weich. Mutter, Sohn und Lauralein – einander unter den rauen Schalen im Prinzip aufs Sentimentalste zugetan – haben die ungebrochene Sympathie des Regisseurs für die sprichwörtlichen „kleinen Leute“. Dass das zwar menschlich angenehm, aber künstlerisch nicht gewinnbringend ist, sieht man besonders an der Laura-Figur.

Dieses im Kopf gewaltig entschleunigte Kind liest Peschel derart pur als Lichtgestalt, dass die junge Schauspielerin Ninja Stangenberg an der Komik gar nicht teilnehmen darf und die Williams-Figur eins zu eins mit befremdlicher Sittsamkeit und naturalistischem Hinken spielen muss. Die zäh die letzte halbe Stunde ausfüllende Schlusspointe, dass unangepasste Menschen, die sich dem gesellschaftlichen Konformitätsdruck durch ineffiziente Hobbies entziehen, die Welt klarer sehen als alle Opportunisten um sie herum, ist dann aber reiner Kitsch.

Wieder am 9.3. und 13.4., 19.30 Uhr

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