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© Spiekermann-Klaas

Performance: Kraft am Werke

Körper prallen auf Beton: Die Choreografin Vivienne Newport erkundet mit einer Performance den Berliner Tresor.

Von Sandra Luzina

An dem fensterlosen Gebäudeklotz, der zum Vattenfall-Areal an der Köpenicker Straße gehört, ist man schon oft vorbeigeradelt, ohne ihn zu beachten. Nimmt man die Industriehalle in schmutzigem Graubeige näher in den Blick, dann mutet der funktionale Bau schon fast absurd an – wie die Architektur in einem frühen Science-Fiction- Film. Das frühere Heizkraftwerk Mitte ist ein unbekanntes Monument einer vergangenen Epoche. Erbaut im Jahr 1961, wurde es aus dem gleichen Beton gefertigt, aus dem auch die Berliner Mauer errichtet wurde.

Wenn Vivienne Newport nachmittags mit ihren Tänzern zu den Proben ihres Projekts „fragments of a time still passing“erscheint, dann haben sich gerade die letzten Hard-Core-Techno-Anhänger verdrückt. Im Keller hat der Club Tresor vor zwei Jahren sein neues Domizil gefunden. Tresor-Gründer und Raumforscher Dimitri Hegemann will auch die frühere Maschinenhalle nutzen, Ende des Jahres soll hier ein „Raum für neue Ausdrucksformen“ entstehen. Vivienne Newport und ihre phänomenalen Tänzer bilden da gewissermaßen die Vorhut, wenn sie nun die riesige Halle mit dem nackten Betonträger-Gerippe in Szene setzen.

Newport ist bekannt für ihre ungewöhnlichen Rauminszenierungen. Immer wieder entzündet sich ihre Fantasie an verfallenden Fabrikhallen. In Frankfurt bespielte sie zum Beispiel die Naxoshalle und die Adler-Werke, ein abbruchreifes Industrie-Areal, das zum modernen Dienstleistungszentrum umgebaut werden sollte. Das gigantische Berliner Kraftwerk zu bespielen grenzt allerdings an Wahnwitz – was Newport mit einem Achselzucken abtut. „Einschränkungen machen kreativ!“, erklärt sie.

Wenn man sie allerdings auf ihre Zeit als Tänzerin bei Pina Bausch anspricht, wirkt sie weniger erfreut. Von 1973 bis 1981 war Vivienne Newport eine der wichtigsten Protagonistinnen des Wuppertaler Tanztheaters sowie enge Mitarbeiterin der Bausch. Doch schon damals wurde ihr klar, dass sie unbedingt choreografieren wollte. „Ich hatte das Auge, und Pina wusste das!“, sagt sie selbstbewusst. Newport ist es jedenfalls gelungen, sich künstlerisch von der Übermutter zu emanzipieren. Mit Sentimentalitäten hat sie es nicht, doch sage keiner, dass sie nicht anhänglich ist. Mitten im Gespräch regt sie sich über die Nachrufe über die im Juni plötzlich verstorbene Bausch auf, die britischen und auch einige deutsche Zeitungen hätten das Werk der Choreografin nicht richtig gewürdigt.

Vivienne Newport lebt seit drei Jahren in Berlin, bislang ist sie aber eher den Insidern bekannt. Mit dem neuen Projekt dürfte sich das nun ändern: „fragments of a time still passing“ beamt sich zurück ins Jahr 1961 – für Newport ein „prophetisches Jahr: Obama ist in dem Jahr geboren worden“. Doch die Choreografin hat keine trockene Geschichtslektion im Sinn. „Wir suchen in uns, was aus der Vergangenheit weiter wirkt“, so beschreibt sie ihren Ansatz. Doch sie bohrt auch im ideologischen Schutt. So mussten die Tänzer spontan Sätze bilden: „Ich bin Kommunist, weil ...“

Wie Newport den gigantischen Raum gliedert, neue Ein- und Durchblicke ermöglicht, ist ungemein spannend. Für die Darsteller ist dies ein Härtetest. Die Körper prallen auf Beton. Raserei wechselt mit Stillstand ab. Und auch zarte Annäherungen verwandeln sich in Konfrontationen. Die Tänzer durchpflügen den Raum, sie jagen den Phantomen des Vergangenen nach. Sie schütteln sich in wilden Anfällen oder verketten sich zu ironischen Gruppenszenen. Mit Wut und Witz laden sie das Kraftwerk mit neuer Energie auf.

Tresor Modern, Köpenicker Straße 59-71, Premiere: 3. 9., 20.30 Uhr. Vorstellungen: 4.-6., 12.-15. und 17.-20. September.

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