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© Universal/Uli Weber

Philharmonie: Cecilia Bartoli: Die Rosenkönigin

Hohe Kunst: Cecilia Bartoli stellt in der Berliner Philharmonie ihr Album mit barocken Kastratenarien vor.

Als Erstes fliegt ihr Federhut, segelt quer über das Podium, über die Köpfe der Musiker hinweg und verschwindet unterm Cembalo. Die Bartoli ist da, gewandet wie ein Kavalier des 18. Jahrhunderts: Das Cape blutrot gefüttert, Gehrock, Hemd mit Jabot. Strammen Stiefelschritts schreitet sie in der Berliner Philharmonie durch einen wahren Orkan von Begrüßungsapplaus. Sie will von den Wellen des Lebens singen, in denen sich die eigenen Gedanken verirren können wie ein Schiff ohne Steuer – und ist zunächst selbst überwältigt von dem Meer der Begeisterung, das sie umgibt. Cecilia Bartoli ist eine Entfesselungskünstlerin, deren pure Bühnenpräsenz Energiefelder positiv auflädt. So stark, dass das Singen beinahe zur Gefahr werden kann. Ihre Aura als Künstlerin mag noch weiterwachsen, ihre Stimme, die nie groß war, wird es nicht.

Man spürt diesen Zwiespalt kurz im ausverkauften Haus, dem die Bartoli ihr neues Album „Sacrificium“ (erschienen bei Decca) vorstellt: Arien des 18. Jahrhunderts, komponiert für die sagenhaften Stimmen von fünf Kastraten aus der Schule Nicola Proporas. Die vokale Wucht der Studioaufnahme steht der Mezzosopranistin auf großer Bühne nicht zu Gebot. Doch das weiß Cecilia Bartoli, die es während ihrer nun schon gut 20 Jahre währenden Karriere immer faszinierend vermocht hat, die Bedürfnisse ihrer Stimme mit ihrem musikalischem Entdeckerdrang zu versöhnen. Während sie sich auf der Aufnahme mit dem aufgekratzten und hochpointierten Orchesterspiel des Ensembles „Il Giardino Armonico“ in direkten Wettstreit begibt, begleitet sie auf ihren Konzerten das Originalklangorchester der Oper Zürich, „La Scintilla“. Hier fließt die Musik geschmeidiger und farbiger in den Raum, die Musiker nehmen hingebungsvoll ihre dienende Rolle an, lassen sich von der Bartoli anstacheln, besänftigen, verführen. Das gelingt ihr vor allem mit ihren phänomenalen leisen Tönen. Senkt sie die Stimme, weitet sich der Raum, intoniert sie zarter, gewinnt sie alle Macht, singt sie scheinbar nur für sich, bleibt ihr kein Herz verschlossen. Cecilia Bartoli ist die wunderbarste Klangprojektionistin der Klassikwelt. Sollte sie sich eines Tages dazu entschließen, sich ganz auf ihr unwiderstehliches Ein- und Ausatmen zu konzentrieren, würde auch diese CD ein Welterfolg.

Mit dem manipulierten Organ der Kastraten hat die Bartoli naturgemäß nichts gemein und würde das auch nie behaupten. Doch in den Arien von Propora, Caldara und Vinci entdeckt die Römerin einen reichen Fundus musikalischer Gesten, die zu ihrer Stimme passen wie ein Hirschkalbslederhandschuh. Die weiten Intervallsprünge, das quecksilbrige Trillern, die wunderbar langen Töne. Dass diese schillernde Opernblüte aus dem Nährboden körperlicher Verstümmelung und geistiger Bigotterie erwuchs, daran lässt die Bartoli keinen Zweifel. Mit der Luxusedition ihres „Sacrificium“-Album gibt sie neben Ersteinspielungen und Essays auch ein Kastraten-Lexikon in die Hand des Hörers. Es reicht von Alibi bis Zölibat.

Auf der Bühne aber verwandelt die Bartoli alles in weiße Magie. Statt aufwendiger Kostümwechsel legt sie langsam Teil für Teil ihr Kavaliersgewand ab: Wirft das Cape in die Fluchten, stemmt sich gegen den Gehrock beim letzten schmerzlichen Lebewohl an die Geliebte, und steht da nur im weißen Hemd, wenn sie als Hirte Abel an die Stelle Jesu tritt, bereit für die Herde zu sterben. Nur ganz zum Ende, nach zweieinhalb beseelten Stunden, imitiert die Bartoli mit goldenem Wams und roten Federbüschen ein Kostüm Farinellis – und macht sich zugleich lustig über die besungenen Qualen der Liebe. Eine kleine Operntravestie, koboldhaft aufblitzend unter einem weiten Sternenhimmel. Dann wird sie noch einmal ganz leise – und ganz groß. Händels Oratorienarie „Lascia la spina“ schwebt durch den Raum. „Lass die Dornen, pflücke die Rose“, lockt das Vergnügen dort im Wettstreit mit Schönheit, Erkenntnis und Zeit. In Cecilia Bartolis Stimme wirken sie kunstvoll vereint – eine Utopie, vorgetragen mit unnachahmlicher Überzeugungskraft.

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