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© ddp

Premiere in der Urania: Hochhuths heiße Luft

Was lange gärt: Rolf Hochhuth hat in der Berliner Urania seinen „Sommer 14“ nun doch noch auf die Bühne gebracht.

Eigentlich möchte man die Vergangenheit vergessen, ach was, verdrängen an diesem Abend. Rolf Hochhuths Sommermätzchen, seine öffentliche Selbstdemontage als Erniedrigter und Beleidigter des Kulturbetriebs, die peinlich gescheiterten Versuche, sich auf die Bühne des Berliner Ensembles zu klagen – das alles soll Geschichte sein, denn nun hat der Theaternomade Hochhuth mit seinem Ensemble ja doch noch eine Herberge zur guten Hoffnung gefunden und für sein Stück „Sommer 14 – Totentanz“ kurzerhand die Urania gemietet. Man könnte zur Abwechslung also mal wieder über die Sache selbst reden, nennen wir sie Kunst. Aber Hochhuth macht es einem nicht leicht. Das will er auch gar nicht, wollte er nie.

Auf dem Büchertisch vor dem Humboldt-Saal liegen in dicken Stapeln die Pamphlete seiner jüngsten Pressekonferenz aus, worin noch einmal in alle Richtungen nachgetreten wird, auf einen Schandfrieden lässt der Mann sich nicht ein, außerdem führt er als Vielfrontenkämpfer gleich sein nächstes Steckenpferd in die Schlacht. Diesmal will Hochhuth die Ku’damm-Bühnen retten, aber ach, wieder hat er es mit einer Entente der Ignoranten zu tun, mindestens: „Seit ich mit 14 Jahren dank der Amerikaner aufhörte, Hitler-Pimpf zu sein, hat mich nie mehr ein Mensch derart angeherrscht wie Junge-Reyer“, bellt er da beispielsweise in Richtung der Senatorin für Stadtentwicklung. Und wir lernen: So leicht lässt sich Geschichte nicht abschütteln. So schnell wird aus einem Firlefanz kein Totentanz. Eine gespenstische Veranstaltung steht an, das zumindest. Sehr übersichtlich sind die Reihen bei der Premiere besetzt, und in der schlechten Akustik des Saales konkurriert Hochhuths Spielerschar außerdem drei Stunden lang mit einer penetranten Lüftung, was andererseits nicht weiter schlimm ist, denn so wird wenigstens ein bisschen von der heißen Luft, die das Stück entfacht, gleich wieder verschluckt.

„Sommer 14“, in der Buchausgabe 400 Seiten dick, serviert trockenen Historienschinken auf rhetorischem Graubrot. Um die Bedingungen des Ersten Weltkriegs geht es, um die Kriegsschulddebatte sowieso, und die ficht der Autor mit sich selbst und einem Bataillon historischer Figuren aus, die fast sämtlich nur historisch verbürgte Sätze sprechen – was dann trotzdem nach dem schnarrenden Idiom des Archivstaub fressenden Besserwissers klingt. Am Ende steht die nicht eben überraschende Erkenntnis, dass Kaiser Wilhelm II. und seine Militaristen-Truppe aus Großadmiral von Tirpitz, Generalstabschef von Moltke und Reichskanzler von Bethmann Hollweg den Krieg wollten, die anderen aber auch.

Wer im Ränkespiel der Großmächte nicht bereits bestens bewandert ist, an dem rauschen die elf Bilder der aktuellen Fassung von Regisseur Hochhuth vorbei wie die Preußische Eisenbahn. Der muss versuchen, sich an der unfreiwilligen Komik zu erfreuen, die in den spröden Tourneetheater-Kulissen des „ausführenden Bühnenbildners“ Clemens Leander Zessack ihren Lauf nimmt. Was schwer wird. Gleich das erste Bild, das von der Erschießung des „Figaro“-Chefredakteurs durch die Finanzministergattin Madame Caillaux und damit vom Sturz ihres Mannes erzählt, des letzten französischen Friedenspolitikers, ist im Kostüm der Epoche so boulevardesk und laienhaft bierernst aufgezogen, dass man sich nach dem blechernen Schuss vom Band bloß noch den Blackout wünscht. Aber Hochhuth hat seinen Parforceritt durch das papierene Geschichtspanorama ja gerade erst begonnen. Mit blindem Pazifisten-Furor wird zwischen den Jahren und Schauplätzen gesprungen, vom Politparlando zwischen Kaiser Franz Joseph und König Edward VII. in der Burgtheater-Loge anno 1908 geht’s gleich weiter in die Berliner Reichskanzlei des Mai 1914, dann kriegt Winston Churchill sein Fett ab, weil er den Passagierkreuzer „Lusitania“ als „45 000-Tonnen-Lebend-Köder“ zu opfern gedenkt, um die Amerikaner mit ins Kriegsboot zu holen, und schon sind wir bei einer von Hochhuths Lieblings-Verschwörungstheorien angelangt, der vermeintlichen Ermordung von Emile Zola. Und so fort.

Zwischen den Bildern tritt immer der Tod auf und singt ungereimte Mahnlieder, die wohl nach Weill klingen sollen, es aber nicht tun. Die Schauspieler, es lässt sich nicht beschönigen, sind durchweg überfordert mit diesem bleischweren Aufsagetheater, das ihnen nichts als steifes Pathos und Dialekte zwischen Berlinern und Wienern abverlangt, die sie nicht hinbekommen. Es sind ja durchweg Arbeitslose, die unter anderen Umständen vielleicht für sich werben könnten – hier stehen sie nur im Dienste der selbstgerechten Sache Hochhuths.

Weitere Vorstellungen: 25. und 26. August, 20 Uhr.

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