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Schaubühne: Albtraum Polen

Traurig, dreckig, tief: Dorota Maslowskas neues Stück an der Schaubühne "Wir kommen gut klar mit uns".

Ein halbnackter Mann schüttet sich Wasser über den Kopf und bestäubt sich mit Mehl. Ein anderer Mann, dem ersten wie aus dem Gesicht geschnitten, beschmiert den ersten mit Senf, Nutella und Ketchup. Schließlich liegt der lebende Schokoriegel opferbereit auf der Bühne, während der zweite Mann seinen hungrigen Blick über ihn gleiten lässt. Hm. Lecker. Bruder verspeisen.

Sieht so Theater aus, das sich dreckig macht, wie es der Titel des Autorenfestivals „digging deep and getting dirty“ an der Schaubühne verspricht? Nein. So sieht es aus, wenn ein Freund einem anderen Freund eine Bitte nicht abschlagen kann. Mach’ doch mal ein Stück über Deutschland, sagte Thomas Ostermeier zu Mark Ravenhill, dessen Stück „Shoppen und Ficken“ er Ende der Neunziger Jahre inszeniert hatte. Deutschland? Da könnte man so eine Art Parabel machen. Ein Zwillingspaar, das früh getrennt wurde. Der eine wuchs im Osten, der andere im Westen auf. Dann fällt die Mauer, sie kommen zusammen und lieben sich total, bis der Ostler irgendwie ein Identitätsproblem bekommt und anfängt, die DDR zu idealisieren. Schließlich wird er vom Westler mit Westprodukten beschmiert und gefressen. Ich meine: echt gefressen!, sagte Ravenhill und bescherte dem Festival mit dem Stück „Over There“ eine Peinlichkeit, über die man besser schweigt.

Drei Tage nach dem Ravenhill-Reinfall wurde das bitterböse Stück „Wir kommen gut klar mit uns“ der jungen polnischen Autorin Dorota Maslowska uraufgeführt. Zu der Autorin muss man sagen, dass sie in Polen ein Star ist, seit sie, zwanzigjährig, ihren Roman „Schneeweiß und Russenrot“ veröffentlichte. Inzwischen ist sie fünfundzwanzig, hat noch einen Roman und zwei Theaterstücke geschrieben und ist vor dem Rummel in Polen nach Berlin geflohen. Dorota Maslowska ist eine begnadete Stimmenimitatorin, die in ihrem zweiten Theaterstück punktgenau den Jargon von Milieus und Generationen trifft. Zwischen den einsturzgefährdeten Mauern eines Warschauer Mietshauses entfaltet sie ein polnisches Gesellschaftspanorama, das so plastisch wie trostlos ist und in seiner Überspitzung die Schichten einer kollektiven Kaputtheit beleuchtet, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

In einer winzigen Wohnung hausen Großmutter, Mutter Halina und ein junges Mädchen. Während die Großmutter immer wieder vom Einmarsch der Deutschen erzählt, watet die in Armut verrohte Mutter gedanklich durch die Illusionen der Konsumwelt, schwelgt in Frauenzeitschriften, die „Nicht für dich“ heißen, stellt sich Reisen vor, die sie nie machen wird, und kocht Letscho aus verschimmeltem Dosenfleisch. „Der Zweite Weltkrieg ist wieder da“, ruft dagegen die Enkelin, sobald es an der Tür klingelt.

Vergangenheitstraumatisiert, arm, zynisch. Den drei Verlierern setzt die Autorin eine Gruppe vermeintlicher Gewinner entgegen, die neue Medien-High-Society. Ein koksender Drehbuchautor erzählt einen Film, narzisstische Schauspieler fläzen sich in Sofas, puppenhafte Fernsehmoderatorinnen und neureiche, dauerempörte Modeopfer stöckeln auf.

Maslowskas Gesellschaft kennt nur Extreme. Die Mitte fehlt. Das heißt, in der Mitte sitzt ein abgrundtiefes Minderwertigkeitsgefühl, der polnische Selbsthass. Eine korpulente Nachbarin bezeichnet sich selbst als „fettes Schwein, das kein Recht hat, durch das Blickfeld der anderen zu lungern“. Auf der anderen Seite verachtet sich ein Starlet so sehr, dass es sich am liebsten durch eine perfekt ausschauende Ikea-Version ersetzen würde. Dieses unheimliche innerliche Wühlen, von dem alle Figuren ausgehöhlt werden, das die Wirklichkeit zum Film werden lässt!

Geschickt spielt Regisseur Grzegorz Jarzyna in der Inszenierung des TR Warszawa mit dem Element des Unwirklichen. Drei weiße Wände, die gleichzeitig Projektionsflächen sind. Wie Scherenschnitte stehen die Schauspieler anfangs in einer Reihe, treten einzeln vor oder fahren, wie die Großmutter, im Rollstuhl ins Licht. Mit lakonischer Ruhe werden die Szenen eher unter- als überspielt, während über die Bildschirmwände hin und wieder Kinderzeichnungen flimmern, die gut zu dem infantilen Tick der Familie passen, ihre materielle Bedürftigkeit durch den exzessiven Gebrauch von Verneinungen mit einer Art Lustleiden zu zelebrieren: „Ich gehe in mein nicht vorhandenes Zimmer“, oder: „Ich bereite ein nicht vorhandenes Essen zu.“

Dass dieser Tick mit der Verneinung mehr als eine Spielerei ist, zeigt sich zum fulminanten Ende. Jetzt werden die Welten aus Arm und Neureich verzahnt, Wirklichkeit und Fantasie vermischen sich zu einer düsteren Totalen. Bilder des von deutschen Bomben zerstörten Warschau füllen die Flächen, die Großmutter ist bei den Angriffen gestorben, wie die endlich aus ihrer zynischen Pose fallende Enkelin merkt. In dem Moment verglüht sie auch schon wieder in dem Bewusstsein, dass sie selbst nie existiert haben kann. Polen, ein einziger Albtraum? „Wir sind überhaupt keine Polen, sondern normale Menschen“, schreit die Enkelin einmal. Digging deep. Tiefer kann man kaum graben.

„Wir kommen gut klar mit uns“: wieder am 28. und 29. März.

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