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© dpa

Späte Wahl: Dietmar Schwarz wird Intendant der Deutschen Oper Berlin

Jetzt hat Klaus Wowereit also doch noch einen Freiwilligen gefunden. Einen Unerschrockenen, der sich traut, auf dem Chefsessel der Deutschen Oper Platz zu nehmen, der sich seit dem Tod des legendären Intendanten Götz Friedrich stets als Schleudersitz entpuppt hat: Dietmar Schwarz.

Jetzt hat Klaus Wowereit also doch noch einen Freiwilligen gefunden. Einen Unerschrockenen, der sich traut, auf dem Chefsessel der Deutschen Oper Platz zu nehmen, der sich seit dem Tod des legendären Intendanten Götz Friedrich stets als Schleudersitz entpuppt hat. Im Sommer 2011 wird Kirsten Harms, die den Posten seit 2004 mit charmantem Beharrungvermögen verteidigt hat, auf eigenen Wunsch hin das Haus verlassen. Dann soll Dietmar Schwarz das Ruder übernehmen, derzeit Operndirektor des Theaters Basel.

Wer war in den vergangenen Monaten nicht alles für den heiklen Job gehandelt worden: Von Regisseur Jossi Wieler über den Opernchef von Lyon, Serge Dorny, bis hin zu Daniel Kühnel, dem 34-jährigen Manager der Hamburger Symphoniker. Wenn der Regierende Bürgermeister am heutigen Donnerstag nun Dietmar Schwarz auf einer Pressekonferenz präsentieren kann, dann werden Wowereit und Kulturstaatssekretär André Schmitz es mit stolzgeschwellter Brust tun: Seht her, nun haben wir auch die letzte heikle Personalie in der hauptstädtischen Kulturszene glanzvoll besetzt! Dietmar Schwarz nämlich kommt vom Theater Basel, einem Haus, das im Herbst – als erste Schweizer Bühne überhaupt – bei der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Opernwelt“ den Titel „Opernhaus des Jahres“ erringen konnte.

Besonders hervorgehoben wurde damals sowohl der kreative Spielplan wie auch die mutigen Produktionen und die stimmigen Ensembleleistungen. In Basel, schrieb Jörg Königsdorf in seinem Gratulationsartikel im Jahrbuch der „Opernwelt“, setze man nicht auf teuer eingekaufte Stars, sondern auf die künstlerische Potenz der eigenen Kollektive. Vor allem aber herrsche hier eine ganz besonders kommunikative Atmosphäre: In Basel arbeiten die Abteilungen nicht gegeneinander, wie so oft im Theater, nein, hier ziehen tatsächlich Künstler, Techniker und Werkstätten an einem Strang – und machen es so den Regisseuren möglich, ihre Visionen tatsächlich hundertprozentig zu realisieren. Diese Kommunikationskultur pflegt der Basler Intendant Georges Delnon ebenso wie sein Operndirektor Dietmar Schwarz.

Für den in Biberach an der Riss geborenen Theatermann Schwarz bedeutet die Berufung an die Deutsche Oper Berlin einen Karrieresprung aus der zweiten in die erste Reihe. Nach dem Studium der Literatur- und Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie an der Pariser Sorbonne begann er seine Theaterlaufbahn als Dramaturg, zunächst am Theater Freiburg. Später wechselte er nach Bremen und an die Oper Frankfurt am Main. Nachdem Schwarz von 1990 bis 1993 im Ruhrgebiet das Festival „Aufbrechen Amerika“ geleitet hatte, kehrte er 1994 als leitender Dramaturg an das Bremer Theater zurück. Ab 1998 war er dann Operndirektor am Nationaltheater Mannheim, von wo er in gleicher Funktion nach Basel wechselte.

Mit Dietmar Schwarz hat Klaus Wowereit einen echten Hoffnungsträger für die Deutsche Oper engagiert. Einen klugen Kopf mit innovativen Ideen, keinen kühl kalkulierenden Kulturmanager, sondern einen Mann aus der künstlerischen Praxis. Dass Schwarz, der in Basel einen Vertrag bis 2016 hatte, gerade in dem Moment nach Berlin kommt, wo er die Früchte seiner Arbeit in der Schweiz ernten könnte, zeigt, dass er sich wirklich der Herausforderung stellen will.

Die Frage ist nur: Wird er sich in der Bismarckstraße durchsetzen können? Wird er genug Begeisterung entfachen können, um das Potenzial der seit so vielen Jahren unter ihrer ungewissen Zukunft leidenden Belegschaft wieder zur vollen Entfaltung zu bringen? Und wird er genug Biss haben, um sich neben Generalmusikdirektor Donald Runnicles behaupten zu können? In Basel musste sich Schwarz bisher nicht mit einem Chefdirigenten arrangieren: Weil das Theater mit verschiedenen örtlichen Orchestern arbeitet, wurde der Posten gar nicht erst besetzt.

Als sich Runnicles im vergangenen Frühjahr bereit erklärte, die Nachfolge des glücklosen Renato Palumbo anzutreten, jubelte die Berliner Musikwelt. Weil der schottische Dirigent nicht nur langjährige Erfahrung im Wagner-Repertoire mitbringt, sondern auch Routine bei der Leitung eines großen Kulturtankers. Doch jetzt könnte es sich als problematisch erweisen, dass die Chefdirigentenfrage unabhängig von der Besetzung der Intendanz gelöst worden ist. Runnicles hatte nämlich seit seiner Ernennung genug Zeit, um seine Pflöcke einzuschlagen.

Er weiß genau, welche Komponisten er zeigen will – neben Strauss und Wagner Benjamin Britten, Leos Janacek und Hector Berlioz – und er hat klare Vorstellungen davon, was gute Regisseure sind – gemäßigte Temperamente wie Robert Carsen, Graham Vick, Christoph Loy oder auch die Choreografin Sasha Waltz. Da dürfte Dietmar Schwarz etwas anders ticken. Schaut man sich an, wer in Basel inszeniert, dann findet man dort alles, was Amerikaner gerne despektierlich Euro trash nennen: Gerade hat Christoph Marthaler in Basel radikal Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ zerlegt, im Mai wird Jan Bosse Cavallis „La Calisto“ neu deuten. Gleich zum Start ihrer Amtszeit holten sich Delnon und Schwarz den Regie-Berserker Calixto Bieito, später folgten Namen wie Hans Neuenfels, Philipp Stölzl und Barrie Kosky. Und der „junge Wilde“ Benedikt von Peter, der in Berlin an der Komischen Oper Händels „Theseus“ herausgebracht hat, wurde von Dietmar Schwarz besonders gefördert. Außerdem träumt er davon, Festivals zu veranstalten, bei denen Bildende Kunst auf zeitgenössische Musik trifft.

Mit der Berufung von Schwarz erweist sich das Theater Basel übrigens ein weiteres Mal als echte Karriereschleuder. Hier verdienten sich unter anderem Matthias Lilienthal und Frank Baumbauer, Albrecht Puhlmann, Joachim Schlömer und Stefan Bachmann frühe Lorbeeren. Und auch Michael Schindhelm ist dort einmal Intendant gewesen.

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