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Tanz im August: Männerschwarm im Hebbel Theater

"The Song" fordert auf, sich auf die eigenen humanen Ressourcen zu besinnen und ist auch eine Hommage an die Beatles. Alle ziehen an einem Strang: zum Abschluss des Berliner Festivals "Tanz im August".

Von Sandra Luzina

Es ist eine reine Männerbewegung, die da im Hebbel Theater zu bestaunen ist. Anne Teresa de Keersmaeker bescherte dem „Tanz im August“ auch in diesem Jahr wieder einen Höhepunkt. Unter dem weiblichen Compagnie-Namen Rosas treten diesmal neun Tänzer auf – Eleonore Bauer, die einzige Frau in „The Song“, konnte wegen einer Verletzung nicht auftreten. Jeder der tanzenden Männer ist toll – zusammen sind sie unwiderstehlich.

Pieter Ampe, mit rotblondem Zauselbart, stürmt als erster an die Rampe, immer wieder geht er tief in die Knie, um sich hochzustemmen, abzustoßen und den Raum zu durchmessen. Nur wer gut geerdet ist, kann in die Höhe streben. Ampes Tanz ist zugleich bodenständig wie luftig-euphorisch.

Tanz im Angesicht der Krise – so lässt sich das neue Stück der berühmten Choreografin begreifen. „The Song“ fordert auf, sich auf die eigenen humanen Ressourcen zu besinnen. Die Realität des Körpers wird aufgeboten gegen das Sich-Verlieren im Virtuellen. Die Tänzer in Jeans und T-Shirt bewegen sich auf der nackten Bühne mit ihren schwarzen Brandmauern. Über ihren Köpfen schwebt ein Segel aus Alufolie. In „The Song“ gibt es keine aufgezeichnete Musik, fast keine. Nur am Ende wird kurz ein E-Gitarren-Sturm entfesselt mit „Helter Skelter“ vom Weißen Album der Beatles. Ansonsten lässt die Choreografin die Musik diesmal weg, damit man den Tanz besser hören kann.

Tanz ist Austausch und Kommunikation, auch das zeigt de Keersmaeker, die mit choreografischen Mitteln die Schwarmintelligenz erforscht. Dass es keine Hierarchie unter den Tänzern gibt, das kennt man bereits von den Rosas. Auch unter den Männern findet sich kein Alpha-Tier. Wenn einer vorprescht, löst er damit eine kollektive Bewegung auf. Alle ziehen an einem Strang, aber jeder einzelne Impuls kann etwas verändern. So entsteht eine flexible Gruppenidentität, die dem Individuum viel Raum und Freiheit lässt. Dem Männerschwarm zuzusehen, ist beglückend, auch wenn de Keersmaeker den Drive der Bewegung immer wieder unterbricht, konzeptuelle Fesseln anlegt. Der so puristische Abend entpuppt sich als Hommage an die Beatles. Einmal singt einer der Tänzer „Rocky Racoon“, ein anderer greift später zur Gitarre – Rosas unplugged. Wie ein Abend unter Freunden kommt einem „The Song“ in seinen schönsten Momenten vor. Beschwingt verlässt man das Theater – und will Teil einer Bewegung werden.

Wie Teilnehmer der Leichtathletik-WM wirkten die 20 Tänzer des Projekts „Bodies in Urban Spaces“. In dem choreografischen Parcours durch Berlin erkundete Willi Dorner eigenwillig das Verhältnis Stadt, Architektur und Körper, und die Tänzer in farbenfrohen Trainingsanzügen begeisterten durch Humor und Sportsgeist. Eine Kette schnell gebildeter Körper-Skulpturen eröffnet neue Perspektiven. Die Tänzer vermessen die Stadt. Oft stecken sie in der Klemme, denn Dorner spielt mit der Idee des Auffüllens von Zwischenräumen. Wie wir uns einfügen in die Umwelt – das wird in der Outdoor-Performance erfahrbar. Doch wie hier die Architektur mittels der Körper neu interpretiert wurde, hatte auch subversiven Witz.

Die Stadt neu zu entdecken – dazu lud die Tour durch Berlin ein, der sich viele Passanten anschlossen. Die Outdoor-Performance war eines der spannendsten Projekte des Festivals „Tanz im August“, bei dem diesmal auch uninspirierte Arbeiten und mittelmäßige oder gar unbedarfte Performer zu sehen waren. Richtig auf die Ohren gab’s dafür bei den Afrikanern und ihren tollen Musikern. „Wir brauchen nicht eure Schlagzeilen und euer Mitleid“, hieß es bei den Studios Kabako aus dem Kongo. Die Botschaft ist angekommen.

„The Song“ , 29.8., 19.30 Uhr im HAU 1


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