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Tanzperformance: Wim Vandekeybus: Blinde Raubtiere

Zucken, zappeln, zusammenkrachen: Wim Vandekeybus’ infernalische Choreografie "Nieuw Zwart" im Hebbel am Ufer.

Von Sandra Luzina

Ein Krachen und Splittern, als wenn mehrere Autos zusammenstoßen. Mit Unfallgeräuschen beginnt und endet die Tanzperformance „Nieuw Zwart“ im Hebbel-Theater. Dazu prallen Körper unter fahlen Lichtblitzen aufeinander und werden zu Boden geschleudert. Schockmomente wie diese gibt es viele in der neuen Produktion von Wim Vandekeybus. Der flämische Choreograf macht aus seinen sieben Tänzern wieder Crashtest-Dummies. Fragen des Überlebens werden in „Neues Schwarz“ verhandelt, und dabei wird so viel Energie auf die Bühne gepumpt, dass der Zuschauer glaubt, von einem Bus überfahren zu werden.

Seinen ersten Erfolg feierte Vandekeybus 1987 mit dem Stück „What The Body Does Not Remember“. Seitdem hat Vandekeybus mit seiner Compagnie Ultima Vez immer wieder für Furore gesorgt. Sein rabiater, riskanter Tanzstil mit den Stürzen und Zusammenstößen wurde oft kopiert, doch das Original blieb unerreicht in seiner physischen Vehemenz und seiner psychischen Dringlichkeit. Der Bühnenberserker, der zuletzt vor sieben Jahren in Berlin gastiert hatte, wurde schon sehnsüchtig erwartet, und präsentierte sich mit seiner neu aufgestellten Compagnie in Bestform. Dem Context-Festival, das diesmal so lahm angefangen hat, bescherte er einen aufwühlenden Höhepunkt.

Wenn anfangs die knisternde Goldfolie fortgezogen wird, ist da ein Gewimmel aus nackten Leibern. Die Tänzer zucken, zappeln, bäumen sich auf und krampfen sich zusammen, wie unter Qualen. Drei Musiker stapfen mit Leuchtstäben durch den Menschenpark, sie betrachten die Kreaturen mit kaltem Interesse.

Die Schauspielerin Kylie Walters irrlichtert mit hochtoupiertem Blondhaar durch das Geschehen, atemlos spricht sie den Text von Peter Verhelst – ein fiebriger Monolog, der die Landschaften des Unbewussten ausschreitet. Verhelst greift das für Vandekeybus wichtige Motiv des Blinden auf. Das halluzinierende Ich verbindet sich die Augen. Ohne sehen zu können, irrt es durch den Wald und schlägt sich die Stirn blutig. Das gehetzte Ich kämpft mit einem Berg und mit schwarz lackierten Hunden und wird zu einer „Faust aus Wut“. Doch der Text bleibt meist düsteres Raunen im Hintergrund, denn Vandekeybus inszeniert seinen eigenen Höllentrip. Die Tänzer durchlaufen immer neue Metamorphosen. Mal sind sie hilflose Kreaturen, mal hoch entwickelte Raubtiere, mal tanzende Krieger.

Angetrieben wird die Tour de Force von Düsterrockern um den Gitarristen Mauro Pawlowski. Drei Musiker schweben auf einer Gondel über der Bühne, und türmen schroffe Klänge aufeinander, während sich die Akteure rückhaltlos in den Kampf werfen und toben bis zur Verausgabung. Vandekeybus, der Psychologie studiert hat, begreift den Menschen als Instinktwesen. Die Nerven liegen blank bei seinen adrenalinbefeuerten Tänzen, die ein hohes Risiko bergen – einer der Performer fällt bei einer Konfrontation fast von der Bühne. Das alles erlebt man mit extremer Wachheit und gleichzeitig wie in Trance. Wie im Albtraum.

Doch Vandekeybus gelingt es, das entfesselte Chaos immer wieder zu ordnen und umzugestalten. Und seine Tänzer sind phänomenal. Ulrike Reinbott wirkt wie ein schwarzer Panther, stets auf dem Sprung, stets bereit anzugreifen. Der zarte David Lorenc hüpft wie ein aufgeregtes Äffchen um diese Raubkatze herum, doch als sie plötzlich paarungsbereit auf ihm liegt, verlässt ihn der Mut. Nach diesem amüsanten Exkurs in die Zoologie zeigt der Choreograf gleich wieder, wo der Hammer hängt, und lässt die Tänzer mit ungebremster Aggression aufeinanderkrachen. Doch er findet auch erschütternde Bilder für seelische Traumata.

Allen Hoffnungen, allen Begierden entsagen. Neo-existentialistisch heißt es am Ende „Dies ist das neue Schwarz“. Die notorische Schwarzmalerei von Wim Vandekeybus und Ultima Vez ist in ihrem wilden Furor einfach atemberaubend.

HAU 1, wieder am heutigen Freitag um 19.30 Uhr.

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