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Theater: Der blaue Affe

Im Maxim-Gorki-Theater wird wieder ein Mann-Roman auf die Bretter geworfen. Gesucht wird "Professor Unrat".

Vor einiger Zeit wurde an gleicher Stelle schon einmal ein Mann-Roman auf die Bühnen-Bretter gezwungen. Stefan Bachmann inszenierte „Der Zauberberg“, von Thomas Mann. Man sah Schauspieler auf Liegen liegen, eingepackt in Decken, minutenlang drehte sich die Drehbühne, während Schnee aus dem Schnürboden rieselte. Stille. Es ging um Zeit. Um gestaute, brackig vor sich hindümpelnde Zeit am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Wenigstens war klar, was Bachmann an dem dickleibigen Roman interessiert.

Jetzt wird im Gorki-Theater wieder ein Mann-Roman auf die Bretter geworfen. Sebastian Baumgarten inszeniert „Professor Unrat“, von Heinrich Mann. Auch dieser Roman spielt vor dem Ersten Weltkrieg, da enden die Parallelen aber auch. Denn „Unrat“ spielt, statt in der reflexiven Höhe eines Schweizer Bergsanatoriums, in den geschlechtlichen Niederungen einer deutschen Kleinstadt. Der autoritäre Lehrer Emanuel Raat, von allen nur Unrat genannt, begegnet auf der Suche nach einem Schüler in einer Spelunke der Barfußtänzerin Rosa Fröhlich, kann sich ihrem Charme nicht entziehen, verfällt ihr, heiratet sie, verliert seinen Job, verarmt und wird schließlich von der Gesellschaft und den Schülern verlacht, die ihn früher gefürchtet und geachtet haben.

Im Gegensatz zu Stefan Bachmann weiß Sebastian Baumgarten aber ganz und gar nicht, was ihn an der Geschichte interessiert. Uninspiriert schleicht er die Handlung entlang, hält sich mit der einen Hand am Geländer der Theatertechnik fest und hascht mit der anderen nach jeder Anspielungsassoziation, die durch die Weite seiner Ratlosigkeit geistert: Schultafeln, die sich als Videoleinwände entpuppen. Eine dreiköpfige Band, die auf einem Multifunktionskasten thront und für Hintergrundmusik sorgt. Als Affen verkleidete Schauspieler, die aus der Wirklichkeit durch einen Gazevorhang in ein schwarz-weißes Szenario treten, das möglicherweise an den Film „Der blaue Engel“ erinnern soll. Gelbliches Licht zitiert hin und wieder die Schwüle von Fassbinder-Filmen, während Kathi Angerer als Barfußtänzerin minutenlang auf einem Sofa fläzend raucht oder beim Singen ein bisschen Brecht-Weill-Atmosphäre aufsteigen und wieder versickern lässt.

All das zusammen ergibt: nüscht. Und der Schauspieler dieser Indifferenz heißt Andreas Leupold. Sein Professor Raat ist nicht zu fürchten, noch glaubt man ihm die emotionale Verfallenheit an das Fräulein Fröhlich. Am Ende kommen die Bomber und legen auf der Videoleinwand mit lautem Kawumm eine Kleinstadt in Schutt und Asche. Doppelmoral und Triebunterdrückung führen in den Krieg – das hätte der Schluss wohl behaupten sollen, wenn vorher ein Hauch von beidem zu spüren gewesen wäre. Andreas Schäfer

Wieder heute und am 4. Juli.

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