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© Davids

Theater: "Guckkasten ist doch langweilig"

Zum Start der Open-Air-Saison: Ein Expertengespräch über Theater unter freiem Himmel und Aischylos in Epidauros.

Die Festspielsaison beginnt. Avignon und Salzburg sind traditionell die Marktführer, doch zuletzt haben sie mit dem Hellenic Festival (unter der Leitung von Yorgos Loukos) mächtige Konkurrenz bekommen. Bis Ende August werden in Athen und Epidauros über 60 Produktionen gezeigt. In Athen gastieren das Deutsche Theater Berlin (mit den „Ratten“, Regie: Michael Thalheimer), Christoph Marthaler („Riesenbutzbach“), Rimini Protokoll („Radio Muezzin“) und Johan Simons („Kasimir und Karoline“). Im Amphitheater von Epidauros spielt Helen Mirren im Juli Racines „Phädra“, Amos Gitai inszeniert ein Stück nach dem „Jüdischen Krieg“ des Flavius Josephus mit Jeanne Moreau. Regisseur Dimiter Gotscheff setzt sich erneut mit dem klassischen Drama schlechthin auseinander, den „Persern“ des Aischylos, die von der Niederlage der persischen Invasionstruppen gegen die zahlenmäßig weit unterlegenen Griechen berichten. Mit Bühnenbildner Mark Lammert entwickelt Gotscheff für die Arena eine spezielle Bühnenarchitektur. Premiere ist am 31. Juli. Infos zum Programm: www.greekfestival.gr

Herr Gotscheff, Ihre Inszenierung der „Perser“ am Deutschen Theater Berlin ist jetzt schon legendär, unbestritten ein Höhepunkt der letzten Jahre. Es ist das älteste überlieferte Drama der Geschichte überhaupt, entstanden 472 v. Chr. Nun setzen Sie dieses Stück für das Hellenic Festival in Epidauros neu in Szene. Welche Bedeutung haben „Die Perser“ für Sie?

DIMITER GOTSCHEFF: Es geht bei Aischylos um die Verlierer, um den Zusammenbruch eines Imperiums und einer gewaltigen Kultur. Das haben wir selbst erlebt, vor zwanzig Jahren – den epochalen Verlust von Utopie und gesellschaftlichen Entwürfen. Was wird aus diesen Verlierern? In der Berliner Aufführung haben wir den Chor eliminiert, denn es geht um das Verstummen von Millionen. Für Griechenland kommt noch etwas anderes hinzu: Dort sind zwei Familien, zwei Dynastien seit einem halben Jahrhundert permanent an der Macht. Aber es geht mir nicht um einen plakativen politischen Kommentar, sondern um die Mechanismen, wie Sieger und Verlierer sich positionieren.

Herr Lammert, Sie haben für die „Perser“ am Deutschen Theater diese berühmte drehbare gelbe Wand erfunden. Sie funktioniert als Zeitschleuse, als dramaturgischer Raumteiler, als Kampfmaschine und Streitobjekt der Schauspieler, auch wie ein Segel. Wie werden Sie im Amphitheater von Epidauros die Bühne besetzen, diesen gewaltigen historischen Raum?

MARK LAMMERT: Grundsätzlich ist es ja die Frage des Atmens, wie die Sprache im Innenraum und im Außenraum funktioniert – und das antike Theater in Epidauros ist der Außenraum schlechthin. Die Wand in Berlin ist eine Mechanik zur Offenlegung des Textes. In Griechenland, am Ort des Ursprungs des Theaters und unserer Kultur, ist man mit einer starken Magie konfrontiert und mit der Nähe zur Natur, zum Himmel.

Aischylos ist im Vergleich zu seinen jüngeren Kollegen Sophokles und Euripides ja noch enger dem Kult verhaftet, weniger dem Individuum.

LAMMERT: Zweifellos. Und Epidauros in antiken Zeiten war ja nicht allein ein Theaterschauplatz, sondern auch ein Heilungsort, eine Kultstätte des Asklepios, ein Ort der Katharsis. Das spürt man auch heute noch. Es gibt dort etwas, das man nicht unbedingt in esoterische Begriffe fassen muss, etwas, wofür es keine Worte gibt.

Glauben Sie an die Möglichkeit einer Katharsis?


GOTSCHEFF: Absolut. Deswegen mache ich doch Theater. Sehen sie, es fasziniert mich, wie sehr die Volksmusik, die in den zwanziger Jahren entstandenen Rembetiko-Gesänge, in Griechenland immer noch Teil des Alltags ist. Die Körper dort sind offener für kathartische Momente. Ich spüre das, wenn ich in Griechenland bin, und diese Energie will ich nutzen.

Sind Sie als Bulgare enger verbunden mit der griechischen Kultur als die Deutschen, deren Griechenlandbild meist ein romantisches ist?

GOTSCHEFF: Meine Urgroßväter kommen aus dem griechischen Mazedonien, aus der Umgebung von Thessaloniki. Ich bin also ein halber Grieche. Ich muss auch sagen, dass mich die Architektur der Guckkastenbühne in unseren geschlossenen Theatern hier in Deutschland immer mehr langweilt, das erschöpft sich. Über Mark Lammerts Idee für Epidauros bin ich sehr glücklich – eine große Vertikale Richtung Himmel. Ich habe eine große, fast kriminelle Lust auf Griechenland.

Aischylos in Epidauros – gibt es eine größere Herausforderung?

LAMMERT: Ich kann Ihnen noch nicht verraten, wie wir die Raumfrage in Epidauros lösen, nur so viel: Griechenland ist ein Land der Seefahrer, und „Die Perser“ sind die Beschreibung einer Seeschlacht, Aischylos selbst hat bei Marathon und Salamis gegen die Perser gekämpft. Darauf müssen wir eingehen. Wir spielen in Epidauros vor vielleicht 10 000 Zuschauern. Und schließlich müssen wir flexibel sein, weil die Inszenierung auch in anderen antiken griechischen Arenen gastieren wird.

Sie arbeiten mit Schauspielern vom griechischen Nationaltheater. Wie ist deren Verbindung zur antiken Dramatik?

GOTSCHEFF: Ach, Schauspieler sind überall gleich schlecht oder gut, außer natürlich meine „Perser“ Samuel Finzi, Wolfram Koch, Margit Bendokat und Almut Zilcher, die sind etwas Besonderes (lacht). Ich nehme den Beruf des Regisseurs sowieso nicht so ernst. In Westeuropa, speziell in Deutschland, wird die Bedeutung von Regie ungeheuer aufgeblasen. Das langweilt mich auch. Ich bin viel näher an den Schauspielern, der Prozess des gemeinsamen Entdeckens und Entwickelns ist bei mir sehr intensiv, ich meine die Befreiung der einzelnen Schauspieler. Heiner Müller sagte, Regisseure sind Penner, sie leben von den Almosen der Schauspieler. Und ich füge immer hinzu: Man muss gut betteln können (lacht lauter).

Wie werden sich die griechischen „Perser“ denn von den Berlinern unterscheiden?

GOTSCHEFF: Wir werden neben den vier Schauspielern einen Chor haben, sieben Männer und sieben Frauen.

LAMMERT: Wir arbeiten mit und in Heiligtümern. In Griechenland wird es schon als Sakrileg empfunden, dass wir keinen Chor alter Männer haben, wie es bei Aischylos steht.

Wie erleben Sie denn die berühmte Akustik im Amphitheater von Epidauros, die jeder Tourist dort vorgeführt bekommt?

GOTSCHEFF: Man muss diesen Raum mit der Sprache beherrschen. Es ist ein bewusstes Hinausschicken der Sprache in diesen gigantischen Raum hinein. Und zwar ohne Mikroports.

In der Berliner Volksbühnen-Agora haben Sie kürzlich den „Prometheus“ des Aischylos inszeniert. Ist Aischylos für Sie der bedeutendste antike Dramatiker?

GOTSCHEFF: An erster Stelle kommt Heiner Müller. Ich habe die Antike durch Müller entdeckt, durch seine Bearbeitungen und Übersetzungen. Der „Perser“Text, den wir in Epidauros verwenden, ist eine Neuübersetzung ins Neugriechische, aber wir spielen auch altgriechische Passagen. Dieser neuen Übersetzung liegt wiederum die Bearbeitung Heiner Müllers zugrunde.

Eine abenteuerliche Sache: über Müllers Bearbeitung eines griechischen Klassikers zurück ins Griechische, zum Ursprung ...

GOTSCHEFF: Ich sage Ihnen, wir haben damals vor drei Jahren, am Beginn der „Perser“–Proben, wochenlang dagesessen und versucht, Müllers Text zu verstehen. Und dann haben wir es einmal mit der Übersetzung von Durs Grünbein versucht und nach drei Minuten Schreikrämpfe bekommen. Grünbein ist so oberflächlich. Müller aber hatte die Gabe, diese Steine, diese Geröllmasse der Geschichte zu bewegen, sie plastisch zu machen.

LAMMERT: Müller hat ja in seiner Bearbeitung nur an wenigen Stellen in die Übersetzung von Peter Witzmann eingegriffen, aber das war entscheidend. Es sind diese entscheidenden menschlichen Momente – wenn etwas sich zum Schrecklichen neigt.

GOTSCHEFF: Es ist wie ein tiefes, schwarzes Loch. Es ist ungeheuer.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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