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Theater: Oh Gott, ich beginne zu fließen

Dampfplaudertaschen und Amoktypen: die Ehedramen "Dämonen" und "Gerettet" in der Schaubühne.

Suchst du die Hölle auf Erden, nimm’ dir einen Lebenspartner: Der Lieblingsbefund der Weltdramatik – von Aischylos bis Strindberg – ist zurzeit besonders schön in der Berliner Schaubühne zu besichtigen. Seit vielen Ehejahren wirft sich das Yuppie-Paar Katarina (Brigitte Hobmeier) und Frank (Lars Eidinger) in Lars Noréns „Dämonen“ tiefe Demütigungen an den Kopf. Und die spontan auf einen Drink geladenen Späthippie-Nachbarn Jenna (Eva Meckbach) und Tomas (Tilman Strauß) scheuen keine Mühen, um zu beweisen, dass man auch mit zwei Kleinkindern noch Zeit finden kann, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Man muss es nur wollen.

Dass es sich dabei aber keineswegs um milieu-, alters- oder gar regionalspezifische Deformationen handelt, hat vor einigen Tagen bereits Benedict Andrews mit seiner Inszenierung von Edward Bonds „Gerettet“ klargestellt. Dort quält Pam (Marie Rosa Tietjen) in Lurexkleid und Overknee-Stiefeln ihren Kurzzeit-Lover Len (Stefan Stern) durch permanentes Fremdschwärmen für den virilen Bootsverleiher Fred (Sebastian Schwarz). Und Pams Mutter Mary (Steffi Kühnert) verdeckt mit ihrem miniberockten Hintern das Fernsehbild immer dann besonders gerne, wenn ausnahmsweise ein Anflug von Leidenschaft über das Gesicht ihres wortkargen Gatten Harry (Thomas Bading) huscht, weil die „Sportschau“ begonnen hat.

Im Gegensatz zu Pam, Mary und Co. nutzen Lars Noréns schwedische HomeLounge-Paare auf Nina Wetzels Edeldesign-Drehbühne für ihre Verletzungsoperationen psychologisches Feinbesteck: „Dämonen“ schielt deutlich in Richtung „Wer hat Angst vor Virginia Woolf ...?“ Norén neigt allerdings auch zu erklärender Geschwätzigkeit. Hat der Langhaar-Tomas etwa seine treudoofe Jenna bereits dreimal von sich geschubst, weil er ihre Dampfplauderei und hormonell bedingten Schweißausbrüche satt hat, muss er in der vierten Szene auch noch sagen: „Ich hab dich so was von satt!“

Dafür entschädigt der Abend mit einem tiefen Einblick ins postfeministische Rollenverständnis. Irgendwann zu Beginn von Thomas Ostermeiers Inszenierung, die dank raffinierter Videotechnik immer wieder verborgene Details oder ungewöhnliche Perspektiven des Ehekampfes überlebensgroß auf die Wohnzimmerwand projiziert, stehen sich die beiden Frauen großformatig gegenüber. Links die schöne, rotblonde, ätherische Katarina der Brigitte Hobmeier mit semitransparentem Kleid über schwarzen Dessous. Sie ist kinderlos, unglaublich mysteriös, immer leicht neben sich und offenbar in permanenter Gefahr, infolge entrückten Tabakkonsums versehentlich die Bude abzufackeln. Rechts: Die bodenständige, dunkelhaarige, mütterliche Jenna der Eva Meckbach, die in grauen Leggings mit ausgesuchtem JogginghosenAppeal und einer Bluse von Zeltdimensionen durch die Bude trampelt und dabei von dem ständigen Zwang dominiert wird, ihre Körperfunktionen zu thematisieren: „Oh Gott, jetzt beginne ich wieder zu fließen!“

Mal ehrlich: Wer hätte gedacht, dass die Frauenversteher an den Schreib- und Regiepulten uns noch derart überraschen können?

Das wirklich Verblüffende an diesem Abend kommt aber noch: Wie souverän sich nämlich die Schauspieler – vor allem Brigitte Hobmeier und Lars Eidinger – aus derartigen Begrenzungen freispielen. Und wie gut es Thomas Ostermeier gelungen ist, dieses Spiel anzustiften – übrigens auch durch eine Strichfassung, die den gröbsten Eindeutigkeiten entgegenwirkt.

Eidinger, der in Form der mütterlichen Urne eine schwer ödipale und denkbar symbolgeladene sexuelle Störung mit sich herumschleppen muss, vermeidet geradezu traumwandlerisch platte Psychoklischees. Stattdessen schlägt er hochpräzise Haken, wechselt vom klarsichtigen Zyniker sekundenschnell zum handgreiflichen Amok-Typen und wieder zurück.

So erhält das Zusammenspiel mit Hobmeier Ehethriller-Qualitäten. Denn sie überwindet die stark in Richtung „armes weibliches Opfer fieser Männer“ tendierende Rollenvorlage und entwickelt eine Figur, die mitquält, mitdemütigt, mitleidet. Leider setzt Ostermeier das Späthippie-Paar, das im „gemeinsamen Mangel an Humor“ eine solide Beziehungsbasis gefunden hat, als Komik-Kommando dagegen. Alles Karikierte lenkt vom fesselnden Psychospiel zwischen Hobmeier und Eidinger ab.

Auch Benedict Andrews sucht in „Gerettet“ Zuflucht bei der Entlastungskomik. Um jedwede Milieufolklore dieses einst skandalösen Stücks aus dem Jahr 1965 zu vermeiden, in dem Fred seinen Sohn mit einer Gang Halbwüchsiger zu Tode steinigt, entscheidet sich der Regisseur für einen rasanten Pingpong-Sprechstil bei dem jungen Paar und für Slapstick-Einlagen bei den Alten. Das ist zwar solide gemacht, und gerade Stefan Stern als tragisch klettenhafter Len hat große Momente. Aber der Dreh- und Angelpunkt von Andrews’ Inszenierung will nicht zutage treten.

Wieder am 11., 12., 14. und 18. März sowie vom 4. bis 6. April.

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