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Tugan Sokhievs: Melodien und Muskeln

Ein cooles Debüt, man kann es nicht anders nennen. Schon Tugan Sokhievs Auftritt in der Philharmonie, der kurze Weg vom Musikerfoyer aufs Podium, verheißt Unbeirrbarkeit.

Kräftige kleine Schritte, die Arme locker angewinkelt, Brust raus. Bloß keine Umschweife, keine Energie verlieren! Wie wenig Attitüde hinter dieser Körpersprache steckt und wie viel Selbstbewusstsein, welches Talent, welcher Wille zum Erfolg auch, das zeigt sich sogleich bei den beiden Liszt-Transkriptionen von Heinz Holliger aus dem Jahr 1986 („Nuages gris“, „Unstern!“). In ihrer Bedächtigkeit sicher keine Eröffnungsstücke, strategisch aber ein nicht unkluges Signal in Richtung zeitgenössisches Repertoire. Dem Schatten werfenden Grummeln und Wabern dieser Liszt-Verinnerlichung allerdings wirklich fesselnde Nuancen abzugewinnen, das Hören und Hinhören anzustacheln, dazu hätte es wohl einiger Proben mehr bedurft. Könnte man Dirigenten miteinander kreuzen, dann wäre der 32-jährige Ossete vielleicht die perfekte Mischung aus Christian Thielemann, Gustavo Dudamel und russischer Schule. Schlagtechnisch erstaunlich versiert und variantenreich, liebt es Sokhiev, den Kopf zwischen den Schultern hin und her zu schieben, wenn es rhythmisch wird, oder, um Höhepunkte hinauszuzögern, marionettenhaft in sich zusammenzusacken. Überhaupt ist er ein großer Freund von Temporückungen, was Rachmaninows zweite Symphonie nach der Pause sozusagen vor sich selber rettet.

Was Richard Strauss einst als „gefühlsvolle Jauche“ abqualifizierte, inszeniert Sokhiev wie ein riesenhaftes Pfeifen im Walde (mit klanglich leider indisponierten ersten Violinen): Als würden Rachmaninows hemmungslos sentimentale Melodien einzig aus Angst vor der Stille kein Ende finden und die Harlekinaden des Scherzos der Welt einen clownesk verzerrten Spiegel vorhalten. Selbst die doch eher sülzigen Klarinettensoli des Adagios tragen berückenden Trauerflor.

Dass die Philharmoniker dennoch nicht recht wissen, was sie von diesem Debütanten halten sollen, zeigt Ravels G-Dur Klavierkonzert mit Hélène Grimaud vor der Pause. Während Grimaud ihren Part radikalisiert und vor allem in den Ecksätzen tollkühn ins Zirzensisch-Montierte treibt (als sei ihr das Halsbrecherische nicht hals- und fingerbrecherisch genug!), kann Sokhiev sich weder mit dem Jazz- und Flirtfaktor dieser Musik anfreunden noch mit der nötigen Balance. Im langsamen Satz, dessen solistische Einleitung Grimaud ganz versonnen nimmt, innig wie ein Schubert-Lied, ist die den Orchestereinsatz anführende Flöte zu laut und, später im Dialog mit dem Klavier, Dominik Wollenwebers schönes Englischhorn viel zu leise. Eine Frage der Kommunikation oder eine der Mentalität? Die Musiker des DSO, bei dem Sokhiev derzeit als Chef im Gespräch ist, sollten wissen, dass seine Wahl eine Kehrtwende bedeutete: weg von der Nagano-Metzmacher-Linie und ihren programmatischen Spitzfindigkeiten hin zu wieder mehr musikalischem Muskelfleisch. Möglicherweise wollen sie genau das.

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