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Volksbühne: Mama will Popstar sein

Hort verschwitzter Privatheit: Meg Stewarts Tanzstück "Do Animals Cry" an der Volksbühne.

Von Sandra Luzina

Platz ist in der kleinsten Hütte. In Meg Stuarts neuem Tanzstück „Do Animals Cry“ ziehen Mutter, Vater und Kinder bald in eine rosa Hundehütte, deren Eingang zwei Topfpflanzen schmücken. Direkt hinter diesem Refugium beginnt die Wildnis. Der aus Hölzern errichtete Wall erinnert an einen überdimensionalen Biberbau. Meg Stuart hat in der Volksbühne nicht nur den Raum, sondern auch die Familie geschrumpft. Sie variiert deren Zerfall in einer Folge von Szenen, in denen grotesk zugespitzte Komik mit leiser Traurigkeit verbunden wird, aber auch mit lähmendem Stillstand.

Zu Beginn ist ein unterdrücktes Keuchen und Stöhnen zu hören. Im Halbdunkel sieht man Körper, die sich umklammern und verbiegen. Die aneinander zerren und sich fast erdrücken mit ihrer Liebe. Als das Licht angeht, fühlen sich alle ertappt in ihren Pyjamas. Vor allem Anja Müller als Muttertier ist der Fleisch gewordene Komplex. Die füllig-agile Darstellerin fällt permanent aus der Rolle; bewegt sich zwischen Verklemmung und Enthemmung. Die Familie – ein Hort der verschwitzten Privatheit, in die die medialen Bilder längst eingebrochen sind.

Die Choreografin entwirft Bilder einer Nähe, die jedes Mal fast in der Körperverletzung mündet. Doch die übertriebene Fürsorge ist nur die andere Seite von Gleichgültigkeit und Fremdheit. Wenn einer der Söhne sich wie ein Spastiker krampft, hilflos auf dem Boden kriecht, dann schauen alle um den Tisch Versammelten demonstrativ weg.

Mit prägnantem Witz veranschaulicht Meg Stuart, wie sich heute die sozialen Rollen verflüssigt haben. Wenn sich etwa die Mutter in pinkfarbenem Wickelkleid und ihr jüngster Sohn in weißen Shorts zum klassischen Porträt aufstellen, dann verrutschen bald die Haltungen, verkehren sich die Positionen. Anfangs steht der Knabe noch aufrecht mit durchgedrückten Knien neben der junonisch auf einem Stuhl thronenden Mutter. Inbrünstig wirft die Matriarchin sich dann auf den Schoß ihres Sprösslings oder kniet zu seinen Füßen. Die tradierten Hierarchien haben sich aufgelöst, Anja Müller und Frank Willens machen daraus ein herrliches Kabinettstück.

Kotomi Nishiwaki als brave Tochter in weißem Kleidchen gerät dann außer Rand und Band. Vor den strengen Augen ihrer Eltern führt sie einen Tanz von dressierter Anmut vor, doch schon bald verfällt das Mädchen in lachhafte Pornostellungen. Zuvor drosch die Mutter auf ein Schlagzeug ein und verrenkte sich in frivolen Posen. Sie pocht auf ihr Recht, sich infantil zu gebärden. Mutter träumt von ihrer verlorenen Jugend.

Meg Stuart lässt ihre sechs Performer alle möglichen Konstellationen durchspielen. Sogar ein Hauch von Pasolinis „Teorema“ liegt über der Szene. Wenn der ephebenhafte Alexander Jenkins über den Wall klettert, ist er nicht nur der heimgekehrte Sohn, der stürmisch begrüßt wird. Er verkörpert den Einbruch einer anderen, höheren Dimension. Doch lässt er alle noch verwirrter zurück. Stuart sammelt so ihre Befunde zum Thema Familie: Mütter wollen heute Popstars werden, Kinder dürfen keine Kinder mehr sein, die Erzeuger haben eh nichts zu melden.

Doch auch wenn ihr immer wieder aberwitzig komische Szenen gelingen, wenn sie Körperbilder gekonnt verzerrt, bleibt der Abend zäh. Stuart will einen Prozess von Auflösung und Desillusionierung zeigen, doch die Szenen berühren nur selten. Am Ende aber fühlt man einen Stich ins Herz – da zeigt Meg Stuart, wie grausam die Vertreibung aus der Kindheit ist.

Nächste Vorstellungen 21. und 26.11., jeweils 19.30 Uhr

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