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Wien: Wunder vom Naschmarkt

Wien leistet sich ein drittes Opernhaus – und Roland Geyer sorgt für den Erfolg.

Für seine Wiener Konkurrenten hat Roland Geyer nur ein Schulterzucken übrig. Die Staatsoper? Ein Theatermuseum, auf dessen Produktionen der Staub von Jahrzehnten liegt. Die Volksoper? Ein Komödienhaus mit mittelmäßigen Sängern, wo der künstlerische Anspruch in den letzten Jahren kontinuierlich heruntergeschraubt wurde. Interessieren würde ihn das, was da wie dort geschehe, jedenfalls keinen Deut – auch wenn die Presse immer wieder versuchen würde, sein eigenes Haus, das traditionsreiche Theater an der Wien, gegen die anderen auszuspielen. Starke Worte, aber allzu duckmäuserisch darf man wohl nicht sein, wenn man in einer Musikstadt mit zwei Opernhäusern noch ein drittes aufmacht. Nicht wenige waren skeptisch, als Geyer im historischen – 1801 von Mozarts „Zauberflöten“-Impresario Emanuel Schikaneder gegründeten – Theater an der Wien vor dreieinhalb Jahren einen regulären Spielbetrieb startete: 1000 Opernplätze mehr zu füllen, ist schließlich selbst im Klassik-Mekka Wien keine Kleinigkeit.

Inzwischen haben etliche Zweifler selbst ein Abonnement im dritten Opernhaus der Stadt: In erstaunlich kurzer Zeit hat der studierte Wirtschaftsmathematiker Geyer sein Haus fest in der Szene etabliert. Bei der letzten Wahl zum „Opernhaus des Jahres“ landete das Theater an der Wien nur knapp hinter Basel auf dem zweiten Platz, und die derzeit 94 Prozent Auslastung zeigen, dass Geyers Programm auch beim Publikum ankommt. Solche Erfolgsgeschichten sind selten in der krisengeschüttelten Opernlandschaft, und es ist daher kein Wunder, dass immer wieder versucht wird, den Opernwundermann auf einen Berliner Posten abzuwerben. Wer in einer Stadt mit drei Opernhäusern Erfolg hat, so die einfache Rechnung, müsste sich doch eigentlich auch in Berlin durchsetzen können, oder?

Ganz so einfach ist die Sache natürlich nicht: Denn für den Erfolg Geyers ist die besondere Wiener Situation ebenso mitverantwortlich wie das Geschick des ehemaligen „Klangbogen“-Chefs. Denkbar luxuriös ist etwa die Konstellation, dass er für seine Produktionen nicht nur zwischen den Wiener Symphonikern und dem ORF-Sinfonieorchester wählen kann, sondern für die szenischen und konzertanten Barockaufführungen auch zwischen den Alte-Musik-Gurus Nikolaus Harnoncourt und René Jacobs mit ihren jeweiligen Ensembles.

Harnoncourt beispielsweise hat hier zur Feier seines 80. Geburtstags (siehe Tagesspiegel vom 6.12.) Joseph Haydns „Il Mondo della Luna“ dirigiert, und auch mit Jacobs ist eine längerfristige Zusammenarbeit geplant. Denn der Großteil der etwa zehn Premieren an der Wien ist einem Repertoire gewidmet, das die beiden anderen Häuser in den letzten 20 Jahren in aller Geruhsamkeit verschlafen haben: Während der Rest der Opernwelt längst im Händel- und Monteverdi-Fieber lag, war die Oper vor 1800 in der Habsburger-Metropole nur mit den obligatorischen Mozart-Highlights vertreten. Und das Repertoire des 20. und 21. Jahrhunderts wurde in der Stadt, in der einst etliche der berühmtesten Opern der Welt uraufgeführt wurden, nur durch die Wiener Kammeroper mit ihren arg begrenzten Ressourcen betreut.

„Wien hat da immer noch einen gewaltigen Nachholbedarf“, resümiert der Intendant, ein Diktum, das man getrost auch auf die Errungenschaften des Regietheaters erweitern darf. Als Christoph Loy etwa die Darsteller von Händels „Giulio Cesare“ in billigen Kostümfetzen auf die Bühne schickte, erzählt Geyer, hätten die Wiener schon ziemlich zu knapsen gehabt. Man muss all das im Hinterkopf haben, um richtig einschätzen zu können, was die Aufführung von Hans Werner Henzes „Prinz von Homburg“ im Theater an der Wien bedeutet. Denn Chistoph Loys Produktion der 1957 uraufgeführten Kleist-Adaption (aus der Feder von Henze und Ingeborg Bachmann) ist nach den Maßstäben eines Bieito- oder Neuenfels-Theaters geradezu diskret geraten.

In Herbert Murauers schwarzem Bühnenkasten, der suggestiv zwischen Innen- und Außenwelt vermittelt, träumt der Prinz im weiß gebügelten Hemd. Seltsam passiv steht dieser disparate Held seinem Schicksal gegenüber, die existenziellen Zweifel, die er nach dem Todesurteil durch das Kriegsgericht durchmacht, bleiben dem zwischen Agonie und Aufruhr oszillierenden Orchester vorbehalten. Man kann sich natürlich einen sinnlicheren Henze-Klang vorstellen, als ihn Marc Albrecht mit den Wiener Symphonikern realisiert: einen, der nicht nur vom Zersplittern eines Welt- und Selbstbildes kündet, sondern etwa in den wilden Trommelpassagen auch von unterdrückter Sexualität. Gleichviel – in der trockenen Akustik und den intimen Dimensionen des Rokoko-Theaters gewinnt die Musik auch so ihre nötige Dringlichkeit und kammermusikalische Intensität. Diese keusche Sichtweise passt allemal zu Christian Gerhahers Homburg: ein Prinz ohne Unterleib, aber mit umso schönerer Stimme, der seine Partie singt wie einen Lieder-Traum.

Es kann gut sein, dass man diese Produktion, ähnlich wie manche andere aus Geyers Haus, bald als Übernahme an dem einen oder anderen deutschen Opernhaus wiederfindet – 2011 ist schließlich Kleist-Jahr.

Infos unter www.theater-wien.at

Jörg Königsdorf

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