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© dpa

Worms: Gebrüder Tollpatsch auf den Nibelungenfestspielen

John von Düffel verarbeitet die Schlachtplatte der "Nibelungen" in Worms zum Sommerhaché.

Wer den feierlichen Achselschweiß und den verbissenen Kampf um die heiligen Kühe urdeutscher Mythen in Bayreuth leid ist, der findet in diesem Sommer im Südwesten der Republik eine höchst unterhaltsame Alternative: die Nibelungenfestspiele in Worms. Spötter haben sie schon längst in Rinke-Wedel-Festspiele umgetauft. Bis auf eine Ausnahme, bei der Karin Baier Hebbels „Nibelungen“ inszeniert hatte, boten die Wormser Aufführungen bislang immer neue Textfassungen von Moritz Rinke in der Regie von Dieter Wedel. Durchaus gelungen. Durchaus erfolgreich.

Aber irgendwann wird selbst die beste Schlachtplatte ranzig. Und Stadt und Publikum sind der Schwerstarbeit am deutschen Supermythos müde. Höchste Zeit also für frischen Wind im achten Jahr der Festspiele. Er bläst aus dem hohen Norden, aus der Feder des Hamburger Autors John von Düffel. Der ist als Dramaturg der Nibelungenfestspiele von Anfang an mit Stoff und Spielort bestens vertraut. Und durchkrault in der Freizeit als Langstreckenschwimmer die Wogen des Rheins. Vielleicht hat ihn ja seine Vorliebe fürs Wasser, dem er einen ganzen Roman gewidmet hat, zur Story inspiriert. Es ist die Geschichte der Verwechslungen und Irrfahrten eines Entdeckers namens „Seefred!“

John von Düffels Hauptfigur folgt, ohne es zu ahnen, den Fußstapfen des Drachentöters, die ihm viel zu groß sind. Alle halten ihn für Siegfried. Dabei ist er bloß der Sohn eines Gewürzhändlers, der, wie später Kolumbus, Indien auf dem Seeweg nach Westen entdecken möchte. Das einzige, was den liebenswürdigen Tollpatsch vor dem Untergang bewahrt, ist seine Unwissenheit. Darin gleicht er jenen Comicfiguren, die über die Kliffkante hinausspuren und in der Luft über dem Abgrund weiterrennen, bis sie es merken. Ein Held bleibt er nur, solange er nicht weiß, dass er einer ist!

Nachdem er mit seiner Jolle in Island strandete, fehlt ihm ein Schiff für die Weiterfahrt. Das hofft er am Hof der Burgunder in Worms aufzutreiben. Dort kommt er gerade recht, um die bekannten Probleme zu lösen. Ruhm und Ehre hängen diesen Helden schon lange zum Hals raus. Anstatt zu kämpfen, wollen sie lieber auf dem Sofa kuscheln. Gunther unterwirft sich Brünhild mit Maso-Lust. Und seine Brüder Gernot und Giselher wurden in zwei Pudel verwandelt, die winselnd die Burgmauern markieren und sich in der Hochzeitsnacht in einer Parallelszene zu einem flotten Dreier mit einer Island-Amazone verknäulen. (Kein Schelm, wer dabei an die beiden Frauen von Festspielintendant Dieter Wedel und ihre beiden Hunde denkt!) Doch für ein Publikum, das den Insiderverweis nicht erkennt, ist das ebenso gewöhnungsbedürftig wie der ganze Humor.

Der ist weit gespannt, von hochliterarischen Metaebenen der Stoffgeschichte (Hebbel wird ebenso zitiert wie Rinke-Fassungen oder das mittelhochdeutsche Original) bis zu den Niederungen der Feuchtgebiete unterm Schuh des Manitu (dessen Musical-Textfassung Düffel jüngst erstellte). Formal ist das weniger eine klassische Komödie als ein wilder Stilmix zwischen Kabarett und Comedy, eine Posse mit Musik, angetrieben von der Lust am anarchischen Chaos im Geist der Marx Brothers.

Der schönste und dramaturgisch beste Einfall sind zwei wunderschöne Rabenvögel. Als Erzähler im Bänkelsängerstil kommentieren sie die Handlung, erklären und beschleunigen sie. Wie überhaupt die ganze Inszenierung von Gil Mehmert stark von musikalischen Elementen geprägt und strukturiert ist. Die Einbettung der Musik, wie sie aus den Szenen erwächst oder in sie hineinmündet, gehört zu den großen Stärken seiner Regie. Die so vielfältig, abwechslungsreich und verspielt ist, dass man leichte Längen im ersten Teil und kleine Unstimmigkeiten in der Handlung gern verzeiht.

Schauspieler hat man bei den Nibelungenfestspielen schon bessere gesehen. Mathias Schlung in der Hauptrolle des Siegfried-Imitats und Nina Petri als Brünhild mühen sich mehr als redlich, aber reichen kaum über die eindimensionale Anlage ihrer Figuren hinaus. Da ist Christoph Maria Herbst als Hagen natürlich schillernder. Aber dies hat er mehr der komplexeren Anlage der Rolle durch Text und Regie zu verdanken als seiner Kunst. Wirklich überzeugen kann nur Gustav Peter Wöhler. Einzig sein König Gunther zwischen Frust und Lust, zwischen hilfloser Leutseligkeit und brutalem Herrscherwillen lässt einiges von den Abgründen ahnen, über die Seefried da so locker hinwegtänzelt. Trotz kleiner Schwächen also eine schöne Abwechslung bei den Nibelungenfestspielen in Worms: Statt harter Arbeit am Mythos sommerleichtes Nibelungenhaché.

Theo Schneider

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