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Young Euro Classic: Partys ohne Sperrstunde

Der Trend: kein Brahms, kein Mahler, dafür mehr Moderne: Young Euro Classic: zum Abschluss des zehnten Jugendorchester-Festivals im Konzerthaus.

Wenn der Sitznachbar sein Jackett auszieht, wenn das Publikum ausgelassen zu tanzen beginnt, auf allen Rängen des Konzerthauses, in dem gerade Antonin Dvoráks Neunte Sinfonie erklungen ist – dann darf man sich schon mal kurz kneifen: Das Miagi Youth Orchestra aus Südafrika singt, swingt, tanzt vor und bringt nicht nur mit Dvorák neue Welten an den Gendarmenmarkt.

Momentaufnahmen bei Young Euro Classic. Die jährliche Zusammenkunft von Jugendorchestern aus aller Welt feierte in diesem Jahr seinen zehnten Geburtstag – Zeit also, das Jackett abzustreifen? Außergewöhnliche Konzertabende gab es schon in der Vergangenheit, und auch im Jubiläumsjahr fehlt es nicht an Raritäten und Highlights. Neben den Südafrikanern kann man da ebenso das Tokioter Geidai-Symphonieorchester, das Wiener Jeunesse-Orchester oder natürlich das Schleswig-Holstein-Festival-Orchester nennen. Genau dieser kosmopolitische Mix ist es, der die Young-EuroClassic-Fans so anzieht – 22 500 Besucher waren es in diesem Jahr. Sie alle lieben den rituellen Rahmen der Konzerte: Der sonst übliche Kellereingang des Konzerthauses bleibt verschlossen, man flaniert stattdessen vom Gendarmenmarkt kommend über die mit blauem Teppich royalisierte Freitreppe. Auch die Anmoderationen der prominenten Paten und die eigens komponierte Festivalhymne sorgen für eine spezielle Atmosphäre.

Bewährter Rahmen, inhaltliche Neuerungen: Vor allem eine stärkere Konzentration auf kammermusikalische und solistische Programme zeichnet dieses Jubiläumsjahr aus. Da gab es den „AnTasten“-Klaviermarathon mit preisgekrönten Jung-Pianisten, da waren die zeitgenössischen Werke und Uraufführungen der chinesisch-deutschen und russisch- deutschen Festival-Ensembles. Das Credo: Je mehr Neue Musik, desto besser. Und nicht zuletzt boten diese Abende Aufführungsplattformen für junge Komponisten. Dass dabei nicht jedes Werk zur großen Entdeckung wird, manches gar altbacken anmutet, gehört zu den Risiken des Konzepts. Darüber hinaus ist es in Zeiten der Krise auch eine finanzielle Frage, wie viele groß besetzte Orchester man überhaupt einladen kann.

Apropos Krise: Die trifft ein nicht öffentlich finanziertes, von Sponsoren abhängiges Festival wie Young Euro Classic besonders hart. Ausgerechnet im Geburtstagsjahr erklärten einige Geldgeber den Rückzug. Ein neues Finanzierungskonzept musste her. So wurden allabendlich jene blauen Heftchen ausgeteilt, mit denen man 2000 Förderer anwerben möchte, die 30 Euro zu spenden bereit sind, um das Finanzloch zu schließen. Immerhin: Bis Sonntag kamen fast 34 000 Euro zusammen.

Von der künstlerischen Stagnation, wie mancher sie bei den großen Festivals ausmacht, findet sich am Gendarmenmarkt nach zehn Jahren keine Spur. Im Gegenteil: Man scheint aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Keine Brahms-Sinfonien mehr, an deren Komplexität sich schon manches junge Orchester die Zähne ausbiss, kein Mahler, dessen Monumentalwerk bisweilen eben auch monumentale Erfahrung fordert. Vielmehr setzt man auf Reibung, auf Programm-Kontraste. „Verstand versus Gefühl“, „neu versus alt“ – solche Gegenüberstellungen bieten den Orchestern viele Möglichkeiten, unterschiedliche Klangfacetten auszureizen. Nicht selten gab es dafür Standing Ovations.

Ausgedient hat Young Euro Classic nach zehn Jahren also mitnichten. Das zeigte am Sonntag auch das Abschlusskonzert des Bundesjugendorchesters mit dem Bundesjazzorchester. Ein Auftritt, der mit seinem hohen Jazz-Anteil womöglich gar visionär sein sollte? Den „Europäische Komponistenpreis 2009“ des Festivals erhielt am Ende Niels Klein für sein Avantgarde-Jazz-Kombinationswerk „Refractions“.

Stichwort Zukunft: Dass Länge nicht entscheidet, ist vielleicht der wichtigste Aspekt, den es künftig zu beachten gilt. Zu viele Programme gerieten allzu üppig im Geburtstagsjahr: Partys ohne Sperrstunde. Die Ungeduldigen verließen die Mammut-Abende schon in den Pausen, die Dagebliebenen kämpften mit ihrer Konzentrationsfähigkeit. Wenn die Veranstalter diese künstlerische Übermotivation ihrer Jugendorchester in den Griff bekommen, steht den nächsten zehn Jahren Young Euro Classic, trotz Krise, wenig im Weg.

Daniel Wixforth

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