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Kultur: Bukowskis Bilanz

„Stand by“: Uraufführung am Deutschen Theater Berlin

Die Lebensentwürfe der Frauen und Männer, von denen der Berliner Dramatiker Oliver Bukowski, Jahrgang 1961, in seinem Stück „Stand by“ erzählt, haben ihren Kurswert verloren. Irgendwann, irgendwo sind die zwischen dreißig und vierzig Jahre alten, gut ausgebildeten Freunde aufs tote Gleis geraten. Sie vegetieren im „Stand by“-Modus. Um überhaupt noch eine Art Leben zu haben, erfinden sie sich eine Sprache, die intellektuellen Anspruch mit der Gosse kreuzt.

Das Sprechen bedingt das Sein. Man haut sich die Sätze um die Ohren, durchaus kunstvoll, und zugleich brutal, obszön, schamlos – bis tatsächlich die Fäuste fliegen. Oliver Bukowski hat mit der Herstellung dieser Sondersprache ein poetisches Meisterstück geliefert – und seine Figuren darüber vernachlässigt. Er schildert eine Gruppe, lässt nur zögernd Einblicke in das unverwechselbar Individuelle zu. Es gibt einen Arzt mit dem beziehungsreichen Namen „Könich“ – alle anderen leben trotz offensichtlich akademischer Ausbildung von Gelegenheitsjobs, arbeiten mal hier, mal gar nicht. Die Gruppe dreht sich um sich selbst, vier Männer müssen sich um zwei Frauen raufen. Keine Hoffnung, nirgends – aber da taucht die Alte auf, eine Lebenserfahrene, die alles weiß und der alles gleichgültig geworden ist: „Selbst wenn ich könnte, Kindchen, ich würde nie mehr jung sein wollen. Sie tun mir leid.“ Zwei aus der Gruppe sind inzwischen in den Tod gestürzt, die Überlebenden gehen saufen.

Regisseur Michael Schweighöfer macht bei der Uraufführung des Stückes im Werkraum der Kammerspiele des Deutschen Theaters die extreme Lebensart zum Prinzip gestischer und mimischer Entfesselung. Seine Schauspieler raufen, sie werfen sich auf Sofas und dick gepolsterte Puppen, sie verknoten ihre Glieder, sie debattieren splitternackt im aufgerissenen, leeren Zuschauerraum der Kammerspiele oder führen Liebeskämpfe in der Badewanne aus. Schweighöfer und das Ensemble bekennen sich zum Spaß, haben Sympathie für die Verrücktheiten der Gruppe, leben sie aus. Gespielt wird auf einem winzigen, weiß eingegrenzten Podium, auf die Mitte der großen Bühne gebaut, hinter der das Publikum seinen Platz hat. Aber die heftigen Aktionen fasst das kleine Spielfeld bald nicht mehr, die Darsteller tummeln sich im Zuschauerraum der Kammerspiele. Hohes Tempo ist dem Regisseur dabei wichtiger als die betuliche Ausarbeitung von Feinheiten und Differenzierungen - er knallt das Gruppenporträt hin, basta. Christine Schorn, wieder einmal als eine alte Dame zu Besuch, spielt die Geheimnisvolle mit einem kaum verborgenen leisen Ekel, halb klug überlegen, halb säuerlich. Tim Lang stattet den Könich mit einer nervösen Dauerverwirrung aus, Isabel Schosnig holt rasenden Zorn und gelangweilten Überdruss aus der zwischen den Männern pendelnden Sonja, Thomas Schmidt lässt die verbummelte Arroganz des Martin in hemmungsloser Gesichtsakrobatik hervorbrechen. Achim Schelhas wiederum legt als Matthias Meyer, genannt m&m, ein virtuoses Tanzsolo hin, mit raffinierter Anmut und höhnischem Spott. Solche Einlagen liebt Oliver Bukowski: Sie mildern das Verstörende an seiner Generationen-Analyse.

Wieder heute sowie am 10., 18. und 26. Mai.

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