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Bundeswettbewerb Gesang: Der steppende Schwan

Soprano and the City: Mit 19 zog Nora Lentner nach Berlin, jetzt hat sie den Bundeswettbewerb Gesang gewonnen.

An wen erinnert einen diese junge Frau? Ihr offener Blick, das herausplatzende Lachen, die blonde Mähne, die ein schmales Gesicht umwallt? Na klar: An Sarah Jessica Parker aus "Sex and the City". Wie die US-Schauspielerin in der TV- Kult-Serie ist auch Nora Lentner als naives Mädchen aus der Provinz in die große Stadt gekommen, hat erst gestaunt und sich dann entschieden, die Metropole zu erobern. Als Kolumnistin Carrie Bradshaw lässt sich Sarah Jessica Parker durchs New Yorker Neid- und Nightlife treiben. Auch im Leben von Nora Lentner geht es dramatisch zu: Allerdings kreist ihr Denken nicht um Männer und Manolos, sondern um die Oper.

Sie ist in Coburg aufgewachsen, genauer gesagt: im Stadttheater. Ihre Mutter war dort Solistin, 12 Spielzeiten lang. "Die Souffleuse und die Maskenbildnerin waren meine Babysitter, die Bühne mein Zuhause", erzählt sie, und es klingt nach einem echten Mädchentraum. Als sie acht ist, wechselt die Intendanz, der Vertrag der Mutter wird nicht verlängert. Um ihrem einzigen Kind keinen Ortswechsel zumuten zu müssen, beschließt sie, künftig als Musiklehrerin zu arbeiten: "Ich glaube, ich war trauriger darüber als sie selber", resümiert Nora Lentner. Zum Glück hat ihr Vater einen Kinderchor gegründet, der regelmäßig im Stadttheater gebraucht wird. Bald singt die Schülerin erste kleine Rollen, den Hirten in Wagners "Tannhäuser", einen der drei Knaben aus der "Zauberflöte".

Dass sie das Singen zum Beruf machen würde, ist für sie selbstverständlich. Dass ihre erste Lehrerin die eigene Mutter ist, auch. "Du bist jetzt schon besser, als ich es je war", sagt die, als die Tochter 17 ist. Das musikbetonte Gymnasium eröffnet ihr jede Menge Auftrittsmöglichkeiten, bald kommen Solo-Rollen in Kirchenkonzerten hinzu. Bei der Aufnahmeprüfung an der Berliner Universität der Künste lernt Nora Lentner 2005 die Professorin Julie Kaufmann kennen, lässt sich sofort von der lebensbejahenden Art der Amerikanerin mitreißen.

"Um immer funktionieren zu können, muss man streng mit sich sein"

Drei Jahre später im sogenannten "Gala kutschensaal", einem nüchternen Raum in der Berliner "Hanns Eisler"-Musikhochschule, der seinem Namen wenig Ehre macht: Hier findet in diesem November der Juniorwettbewerb des "Bundeswettbewerbs Gesang" statt, die größte nationale Ausscheidung für den Sängernachwuchs. Nora Lentner betritt das Podium, sagt die Reihenfolge ihrer Stücke an, lächelt ihr Carrie-Brad shaw-Lächeln und lässt einen hellen Sopran hören, mit angenehmem Timbre, leicht ansprechender Höhe - und einer stupenden Durchschlagskraft, die geradezu die Dimensionen des Prüfungszimmers zu sprengen droht.

Da ist die 22-Jährige tags darauf im weitläufigen Apollosaal der Berliner Staatsoper schon besser aufgehoben, wo das Preisträgerkonzert stattfindet: Nora Lentner hat den Hauptgewinn in der Tasche, ein Jahresstipendium der Walter- Kaminsky-Stiftung. Außerdem hat sie einen Riesenbammel: "Ich hatte das Gefühl, jetzt noch einmal beweisen zu müssen, dass ich den ersten Preis auch wirklich verdient habe." Da findet sie die Regelung besser, die seit kurzem in der anderen Sparte des Bundeswettbewerbs Gesang gilt: Die Finalisten der 23- bis 30-Jährigen werden am 1. Dezember in der Deutschen Oper antreten - und die Jury entscheidet erst am Ende des Konzerts, wer welchen Preis verdient: Da kommt es bis zuletzt auf den Kampfgeist der Teilnehmer an. Und ohne den geht nun einmal gar nichts im Klassikbusiness, das weiß die Sängerinnentochter nur allzu gut. Jede Aufführung ist immer auch eine Prüfungssituation, der kleinste Patzer kann zum Karriereknick führen. Wenn sie über ihren Traumjob spricht, sagt Nora Lentner Sätze wie diesen: "Um immer funktionieren zu können, muss man streng mit sich sein." Und entschuldigt sich sofort dafür, dass das jetzt gerade "total streberhaft" klang. Man kann es auch realistisch nennen.

Von ihrem Jahresstipendium hat sich Nora Lentner übrigens als erstes einen Stepp-Kurs gegönnt. Jazztanz hat sie als Teenager gemacht, als Kind war sie Funkenmariechen. Gerade von den Sopranistinnen mit den leichten Stimmen, die die koketten Rollen spielen sollen, werden heute Model-Maße verlangt: Am liebsten sollen sie sich so bewegen können wie Britney Spears und so aussehen wie Sarah Jessica Parker. Da hat Nora Lentner ganz gute Karten: Beim Abschlusskonzert ist sie nicht nur die Solistin mit dem besten Körpergefühl, sondern trägt auch das schönste Kleid, einen Traum in Türkis, wie aus dem Designerkostüm-Fundus von "Sex and the City". Sie hat es sich selber genäht. Gibt es eigentlich irgendwas, das diese Frau nicht kann?

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