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Kiezkennerinnen. Aslı Özarslan und Canan Turan sind die Regisseurinnen von "Canım Kreuzberg".

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Canım Kreuzberg: Dein Kiez, mein Block, unsere Oma

Die Filmemacherinnen Canan Turan und Aslı Özarslan dokumentieren in ihrem Film-Doppel „Canım Kreuzberg“ die Geschichte ihres Kiezes. Ein Spaziergang.

Da, die Bäckerei Güllüm, da haben wir am Kotti früher immer Brot geholt. Die gehört den Eltern von Killa Hakan.

Ach, der Rapper, der bei der Gang 36 Boys war? Genau! Und hier in der Adalbertstraße hat mich am 1. Mai vor drei Jahren mal ein Polizist geschubst. Bei Blumen-Dilek an der Ecke Oranienstraße habe ich zum Muttertag immer einen Strauß für meine Mutter gekauft. Da drüben in den Cake-Club hat mich meine Tante zum ersten Mal mitgenommen, als ich 14 war. Ach, und das Versicherungsbüro hier an der Ecke Naunynstraße, da hat mein Vater lange gearbeitet. Oh, und die Rote Harfe am Heinrichplatz, da habe ich das erste Mal eine Shisha geraucht. Ich auch! Und da drüben bei der Firma Sill in der Ritterstraße, da hat meine Mutter mal geputzt. Und in diesen Block in der Bergfriedstraße sind Oma und Opa 1973 eingezogen. Als erste Türken, wie sie immer sagt.

So hört sich das als kleine Hörcollage an, wenn man mit Canan Turan und Aslı Özarslan zwischen Kottbusser Tor, Naunynstraße und Wassertorplatz herumspaziert und dabei ständig stehen bleibt, weil so viele Kindheitsorte zu benennen, so viele Geschichten zu erzählen und so viele Freunde, die zufällig vorbeikommen, zu umarmen sind. Mein Kiez, mein Block, mein deutschtürkisches Dorf. Und mit den Erfahrungen von drei Einwanderergenerationen ist das zugleich kleine lokale und große deutsche Geschichte. Zumindest wenn es nach diesen beiden Filmemacherinnen geht, deren Dokumentationen „Kıymet“ und „Bastarde“ am Donnerstag als 50-minütiges Filmdoppel unter dem Titel „Canım Kreuzberg“ (Liebes Kreuzberg) ins Kino kommen.

Den Begriff „Deutschtürke“ mögen Özarslan und Turan allerdings gar nicht. Der schreibe nur die viel zu homogenen Begriffe Deutscher und Türke fort, sagt Canan Turan. An diesen Dualismus glaube sie nicht, „sondern an Milieus, Szenen, Schichten“. „Die verbinden die Menschen viel mehr als ihre Nationalität.“ Sie nennt sich lieber Kreuzbergerin oder Berlinerin. Oder sagt wie Aslı Özarslan im Ausland immer, dass sie aus Deutschland komme, aber ihre Eltern aus der Türkei. Die findet den Begriff „Ausländer“ am schlimmsten. „Der geht gar nicht. Ausländer sind doch die Touristen.“

Einkehr im Café Kotti im ersten Stock des Neuen Kreuzberger Zentrums: Im Rauchereck hängt ein graumelierter Herr mit Hund am Handy. Selbst den kennt Canan Turan. „Mein Onkel. Er ist Vorstandsmitglied im Türkischen Bund.“ Er war der Erste, der in der Arbeiterfamilie studiert hat. Sie ist die Zweite. Politisches Engagement liegt bei ihnen in der Familie. Canan Turan ist 28 und mit neun Monaten aus der Türkei nach Kreuzberg gekommen. Ihre Großmutter, deren Mann als Sozialist in der Türkei politisch verfolgt wurde, ist in Berlin jahrzehntelang am 1. Mai für Arbeiterrechte und gegen Rassismus auf die Straße gegangen. Mit ihrem Putzjob im Urban-Krankenhaus brachte sie den Mann und die drei Söhne durch und wurde dort in den Betriebsrat gewählt. Vom Leben dieser Kopftuchträgerin, die im Alter nun wieder in ihrem türkischen Heimatdorf lebt, handelt der Film ihrer polyglotten Enkelin, die in Berlin, Barcelona und London Filmwissenschaft und Regie studiert hat.

„Mich interessiert das Kämpferische“

Kiezkennerinnen. Aslı Özarslan und Canan Turan sind die Regisseurinnen von "Canım Kreuzberg".
Kiezkennerinnen. Aslı Özarslan und Canan Turan sind die Regisseurinnen von "Canım Kreuzberg".

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Aslı Özarslan ist 26, im Urban-Krankenhaus geboren und in ihrer Arbeiterfamilie ebenfalls die Zweite, die studiert hat. Theater und Medien in Bayreuth, Philosophie in Paris und seit Oktober Dokumentarfilm in Ludwigsburg. Ihr Film handelt von den gefeierten postmigrantischen Theatermachern am Ballhaus Naunynstraße. „Deren Stücke haben mich schwerst beeindruckt, weil ich mich zum ersten Mal im deutschen Theater wiedergefunden habe.“ Da hat sie begriffen, was jetzt auch These ihres eigenen Films geworden ist: dass Migrationsgeschichte deutsche Geschichte ist. Und dass „nur wer mit Akzent spricht, nicht auch mit Akzent denkt“, wie Regisseur Nurkan Erpulat im Film sagt.

Diese beiden klugen, schönen Frauen fühlen sich wohl in diesem Land, dieser Stadt, dieser Nachbarschaft und sprechen doch immer noch von längst erledigt geglaubten, von ihnen aber als schmerzlich empfundenen Defiziten. Natürlich gebe es inzwischen ein paar verfilmte Migrantengeschichten, sagt Canan Turan. Oder Artikel über sogenannte „Erfolgskanaken“, wie Aslı Özarslan augenrollend anfügt. „Aber in den Medien und der offiziellen Geschichtsschreibung ist das immer noch ein blinder Fleck“, sagt Turan. In der Presse wie in politischen Diskussion tauche das Thema eigentlich nur negativ oder problematisiert auf. „Mir fehlt es da an Dankbarkeit und Respekt.“ Özarslan nickt. Ihr geht es genauso. Auch sie glaubt, dass die Lebensleistung ihrer Eltern und Großeltern verkannt wird. Im Ausland schwärmten Künstler und Touristen wie verrückt von Berlin und diesem Bezirk. „Doch ohne die erste Migrantengeneration hätten wir das Kreuzberg nicht, um das sich jetzt alle reißen.“

Interessanterweise arbeiten sich beide Regisseurinnen, die sich vor dem gemeinsamen Filmstart gar nicht kannten, weiter am Migrationsthema ab. Canan Turan hat eine Serie von Einwandererporträts für eine Stiftung produziert und arbeitet am deutsch-amerikanischen Dokumentarfilmprojekt „Wings and Roots“ mit. Und Aslı Özarslan dreht eine lange Doku über eine 25 Jahre alte Sudanesin, die einzige Frau, die im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz lebe. Warum sie das machen, wo viersprachigen Frauen wie ihnen doch alle Themen der Welt offenstehen? „Mich interessiert das Kämpferische“, sagt Özarslan. Die Komplexität des Themas und die Frage, wo die Menschen dort am Oranienplatz ebenso wie die ersten Einwanderer ihrer Familie den Mut und die Hoffnung hernehmen, ihr Land für eine ungewisse Zukunft zu verlassen. Canan Turan ist ihre Motivation ebenfalls klar. „Es ist ein Stück Verantwortungsbewusstsein“, sagt sie. „Wir können diese Geschichten am besten erzählen. Und endlich auch aus unserer Perspektive.“

Premiere mit Filmteam, 23.5., 20 Uhr, Moviemento, Kottbusser Damm 22

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