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Regisseurin Grisebach mit „Western“-Schauspieler Meinhard Neumann.

© AFP

Cannes Journal 2017 (1): Wenn Männer Haare flechten

Erster deutscher Beitrag bei den 70. Filmfestspielen von Cannes: Valeska Grisebach schickt in „Western“ deutsche Bauarbeiter nach Bulgarien - und wird in Cannes gefeiert.

Von Andreas Busche

Sicherheit wird in Cannes dieses Jahr groß geschrieben. Man sehnt sich recht bald nach der Diskretion und dem sympathischen Laissez-faire der Berlinale. Vor dem Festivalpalais stehen zur feierlichen Eröffnung mit Arnaud Desplechins „Les Fantômes d’Ismaël“ schwerbewaffnete Soldaten Spalier, an ein Durchkommen ist kaum zu denken. Selbst die Kontrollen für die Pressevorführungen sind verschärft worden, der Weg vorbei an Securitypersonal und Metalldetektoren zieht sich.

Das hastig eingepackte Lunchpaket landet an der Kontrolle im Mülleimer. Sorry, no food! Man muss Geduld mitbringen, aber die Schlangen vor den Kinos haben immerhin den Nebeneffekt einer willkommenen Entschleunigung im hektischen Festivalbetrieb.

So eine Gala-Eröffnung ist immer auch eine Plattform für politische Statements. In Frankreich darf man sich seit der Wahl von Emmanuel Macron wieder etwas weiter aus dem Fenster lehnen und nach Amerika blicken. Auch Asghar Farhadi nutzte die Bühne für einen kleinen Seitenhieb in Richtung Donald Trump. Der iranische Regisseur hatte im Februar die Oscar-Verleihung als Protest gegen das Einreiseverbot für Muslime aus sieben Ländern boykottiert. Auf dem roten Teppich nennt er Cannes einen Ort des Dialogs und des Austauschs in einer Welt, in der Fremdenfeindlichkeit und Isolationismus überhandnehmen. „Kulturen sprechen miteinander und respektieren einander.“

Maren Ades Firma hat "Western" produziert

Farhadis Worte passen gut zum ersten deutschen Beitrag in Cannes 2017, Valeska Grisebachs „Western“ in der Sektion „Un Certain Regard“. Ein Film über Deutsche in der Fremde, über die Möglichkeit des – wenn auch rudimentären – Dialogs über Sprachbarrieren hinweg. Und darüber, dass selbst die größten Bemühungen kultureller Verständigung nicht unbedingt fruchten. „Western“ ist, so viel lässt sich bereits sagen, ein weiterer Cannes-Erfolg für Maren Ade, die dieses Jahr in der Wettbewerbsjury sitzt.

Ades Berliner Firma Komplizen Film hat „Western“ produziert und damit das Spektrum der „Berliner Schule“ beträchtlich erweitert. Weniger stilistisch als thematisch – obwohl Grisebachs untrüglicher Blick fürs Details sie zur exzellenten Vertreterin dieser „Schule“ des Minimalismus macht.

Eine Gruppe deutscher Bauarbeiter wird auf eine Baustelle in der bulgarischen Provinz beordert. „Western“ ist eigentlich ein Eastern, mit deutlichen motivischen Genre-Bezügen. Wenn der Bauarbeiter Meinhard (Meinhard Neumann) auf einem Schimmel durchs malerische Hinterland reitet, evoziert das Erinnerungen an jene Karl-May-Verfilmungen, die die osteuropäische Landschaft im deutschen Nachkriegskino verewigten. Meinhard ist ein melancholischer Western-Loner, geht auf Distanz zu seinen Kollegen, speziell zum groben Polier Vincent (Reinhardt Wetrek). Das erste Aufeinandertreffen mit einer Gruppe Mädchen, die nahe der Baustelle schwimmen wollen, ist nur der Auftakt für weitere schwierige Begegnungen zwischen den Einheimischen und den Deutschen.

Grisebach will mit Ressentiments aufräumen

Meinhard mischt sich als Einziger unter die Dorfbevölkerung und schließt Freundschaft mit Adrian, dem Paten des Ortes. Der eröffnet ihm – und dem Film – einen differenzierten Blick auf die Dynamik innerhalb der Dorfgemeinschaft. Wobei es Grisebach nie darum geht, mit Ressentiments über Deutsche wie über Bulgaren gänzlich aufzuräumen. Einige haben ihre Berechtigung, andere werden konterkariert, nicht ohne Humor.

„Western“ lebt vor allem von seinen Authentizitätseffekten, von der Arbeit mit dem Laienensemble, das bis in die kleinste Nebenrolle mit echten Charakteren besetzt ist, von der groben Sprache am Bau, die doch Raum lässt für zärtliche Momente – etwa wenn einer der Männer einem Kollegen die Haare flicht. Ein Film auch über das Deutsche in den Deutschen. Und das Genre Euro-Culture-Clash-Western wird zu Deutschlands Beitrag zum Filmfestival der Völkerverständigung.

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