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Bess

© Deutsche Oper Berlin/Rival

Cape Town Opera: Summertime in Afrika

... and the livin’ is not easy: Die Cape Town Opera gastiert mit Gershwins "Porgy and Bess" an der Deutschen Oper Berlin

Von Sandra Luzina

Die Catfish Row liegt nicht in Charleston im Süden der USA, sondern in Kapstadt, der ältesten Stadt Südafrikas. Holzkisten, eine Batterie Bierflaschen Hunters Dry und ein Würfelspiel - nur wenige Requisiten finden sich auf der Probebühne der Cape Town Opera. Wiederaufnahmeproben für "Porgy and Bess": 60 Sänger stehen lässig herum oder fläzen sich auf Baumwollballen - fast alle sind schwarz. Kein ungewohnter Anblick an der Cape Town Opera, zudem erfordert es das Stück. George Gershwin hat "Porgy and Bess", diese Geschichte voller Tragik und Leidenschaft, für ein ausschließlich schwarzes Ensemble geschrieben.

Zwischen den Darstellern wieselt ein älterer weißer Herr herum: Angelo Gobbato, Regisseur und Mentor der meisten Anwesenden. In Kapstadt nennen ihn alle "Mister Opera". Langsam kommt Bewegung in das Körpermassiv. Xolela Sixaba, der den verkrüppelten Bettler Porgy verkörpert, testet schon mal sein Skateboard. Tsakane Valentine, die aus London zur Kapstädter Truppe gestoßen ist, streicht als drogenabhängige Bess um die Männer herum - ein erotisches Raubtier. Der Tenor Mlamli Lalapantsi singt "A man's got a right to play" - und ein ganzer Männerchor fällt ein.

Diesen kraftvollen, geerdeten Klang kann man jetzt auch in Berlin erleben; 29 Vorstellungen hat die Deutsche Oper für die Erfolgsproduktion der Cape Town Opera angesetzt. Deren Direktor Michael Williams ist zuversichtlich, dass die Aufführung auch in Berlin ein Hit wird. "Wir haben die Stimmen!" Mehr noch: Die südafrikanischen Darsteller präsentieren nicht nur Evergreens wie "Summertime", sie pumpen das volle Drama in die Musik.

Die Fußball-WM soll Touristen anziehen

Sonntagvormittag. Mlamli Lalapantsi und sein Freund Theo Maphila begleiten die Besucher aus Berlin in die Townships am Stadtrand. Die Fahrt geht nach Langa und Khayelitsha, dem zweitgrößten Township Südafrikas. Es sind absteigende Höllenkreise: Den gemauerten Häuschen folgen bald baufällige Bretterbuden, viele leben hier unter erbärmlichen Bedingungen. Maphila baut im Auftrag der Regierung 1500 Häuser in 11 Monaten. Ein nicht ungefährlicher Job, räumt er ein. "Was meine Leute dringend brauchen, ist eine Ausbildung", redet er sich in Rage. Und zeigt auf die im Dreck spielenden Kinder, von denen viele ohne Mutter oder Vater aufwachsen - wegen Aids. "Es tut sich etwas in den Townships", glaubt dagegen der Besitzer von "Maphindy's Take Away", einem Laden, der Fleischerei, Grill und Kneipe in einem ist. Der Selfmademan träumt von Busladungen voller Touristen während der Fußball-WM 2010.

In den Townships liegt der Ursprung des südafrikanischen Stimmwunders, denn hier gehört der Gesang zur Alltagskultur. Viele Schwarze singen in Kirchenchören - wo sie auch Bekanntschaft mit der Oper machen, dieser so elitären europäischen Kunstform. Eine Vielzahl von Wettbewerben wird inzwischen veranstaltet, für die unter anderem Verdis Opernchöre einstudiert werden; 200 bis 300 Südafrikaner melden sich jährlich zum Gesangsstudium an der Universität Kapstadt an. Und schon in den Zeiten der Apartheid hat Angelo Gobbato schwarze Sänger ausgebildet - ein Instrument konnte sich kaum einer leisten.

Nur wenige Glückliche steigen auf

Die Cape Town Opera überstand als einziges von ehemals fünf süfafrikanischen Musiktheatern die Umwandlungsphase nach dem Ende der Apartheid. Die dramatischen Veränderungen im neuen Südafrika spiegeln sich auch im Ensemble der Cape Town Opera, das heute mehrheitlich aus schwarzen Sängern besteht. Die Oper bietet ein Auskommen und Aufstiegschancen - freilich nur für wenige Glückliche. Doch die Situation mancher Sänger mutet regelrecht schizoid an. "Stellen Sie sich das vor", ruft Gobbato, "die treten in ,La Traviata' auf, legen das Kostüm ab und fahren dann mit dem Taxi in ihr Township."

Hoher Besuch im Opernhaus: Der Kulturminister Pallo Jordan hat sich angekündigt. Nach seiner Budget-Rede speist er im Foyer mit seinen ANC-Abgeordneten. Jordan mag keine Oper, also singt das Vocal Ensemble ein kurzes HallelujaMedley. In Xhosa, der Sprache der Schwarzen, wird dann das Finale aus der "Fledermaus" dargeboten - mit der hübschen Zeile "Die Majestät wird anerkannt". Die Sänger wissen um die Ironie.

Jordan ist ein Verfechter der African Renaissance, die die Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen propagiert. Er ist der Auffassung, dass Oper nichts mit der Kultur der Schwarzen zu tun habe. "Ein dummes Argument", findet Gobbato, genauso müsste man dann sagen, Schwarze sollten keinen Fußball spielen. "Oper ist für alle da." Außerdem, so schwärmt der erfahrene Stimmbildner, haben die Südafrikaner "herrliche Stimmen, wie man sie heutzutage nicht mal mehr in Italien findet". Ihr Leben, fügt er hinzu, sei voller Gefahren. "Drama ist für sie real. Sie haben große Stimmen - und große Emotionen." Seit Mark Dornford-Mays Bizet-Verfilmung "U-Carmen eKhayelitsha" mit Pauline Malefane in der Hauptrolle auf der Berlinale 2005 den Goldenen Bären gewann, weiß man das auch in Europa.

Den europäischen Markt erschließen

Bei "Porgy and Bess" hat Angelo Gobbato die tragische Liebesgeschichte zweier Außenseiter behutsam aktualisierend auf die südafrikanische Realität der siebziger Jahre übertragen. Es war die schlimmste Phase der Apartheid, in der Schwarze aus ihren angestammten Wohnbezirken in den Zentren vertrieben und ihre Häuser eingerissen wurden und man sie zwangsweise draußen vor den Städten ansiedelte. "Diese Zerstörung, Unsicherheit und Willkür wollte ich festhalten", erklärt der Regisseur.

Operndirektor Michael Williams hofft, dass "Porgy and Bess" dem Ensemble den europäischen Markt erschließt, denn mit den Einnahmen aus den Gastspielen in Berlin und Oslo können mehrere Monate Spielbetrieb finanziert werden. So kühl Williams zu rechnen weiß, so sehr reizt ihn als Librettist die Entwicklung neuer Opernstoffe. Die jüngste Uraufführung "Poet and Prophetess", für die der schwedische Komponist Mats Larsson Gothe die Musik schrieb, thematisiert den Clash der Kulturen und erzählt von der fiktiven Begegnung zwischen dem romantischen Dichter Bengt Lidner und dem Xhosa-Mädchen Jula, das in die Sklaverei verschleppt wird. In dieser Oper stehen sich Schwarze und Weiße unversöhnlich gegenüber.

"Bei uns gibt es kein Casting nach Rassen-Gesichtspunkten, es sei denn, das Stück erfordert es", betont Williams. Die Cape Town Opera hat in seinen Augen Modellcharakter, als Ort der Versöhnung. Gemessen an den Luxusproblemen der Opern in Europa kämpft sie mit harten Realitäten. Kunst produzieren, das geht hier nur mit Engagement und Idealismus. "Bald werden wir schwarze Lehrer an der Uni haben und schwarze Regisseure", glaubt Angelo Gobbato. Die weißen Opernaficionados, sie arbeiten letztlich daran, sich selbst überflüssig zu machen.

Deutsche Oper Berlin, Premiere am 4. Juli, 20 Uhr. Bis 1. 8., täglich außer Mo. Zusätzliche Nachmittagsvorstellungen am 5., 6., 12. und 13. 7., 15 Uhr.

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