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Hände hoch! Der Rapper Casper.

© dpa

Casper in Berlin: Kommt in meine Kirche: Casper im SO36

Feierbefehle und Pathosecken: Indie-Rapper Casper bringt das SO 36 zum Durchdrehen. Die Fans kennen alle Texte auswendig und klatschen wie wild.

Er ist noch gar nicht auf der Bühne, und schon singen die Leute mit. Materia, Kraftklub, Coldplay – die Umbaupausenmusik ist passgenau auf den Geschmack der Casper-Fans eingestellt. Ihr Idol weiß einfach, was das junge, deutsche Publikum im Moment hören will. Vor allem natürlich Caspers zweites Album „Hinterland“, das Ende September veröffentlicht, auf Platz eins in den Charts einstieg, und nach zwei Wochen bereits Goldstatus (100 000 verkaufte Exemplare) erreichte. Casper setzte sich gegen US-Schwergewichte wie Justin Timberlake und Drake durch und wiederholte so den Nummer-eins-Coup seines Debütalbums „XOXO“. Allerdings war das vor zwei Jahren noch eine echte Überraschung, diesmal gehört die Chartspitze fast schon zum Pflichtprogramm – genau wie eine ausverkaufte Clubtour.

Die Karten für das Konzert im SO36 sollen nach zwei Stunden ausverkauft gewesen sein. Entsprechend euphorisch und motiviert ist die Menge, die schon das Klavierintro des Eröffnungsstücks „Im Ascheregen“ in Musikantenstadlmanier zerklatscht. Dieses unangenehme, auf jede Zählzeit knallende Geklatsche prägt die gesamte 90-minütige Show. Selbst wenn die Band mal eine Offbeat-Betonung andeutet oder der Drummer Stolperschläge spielt, bleiben alle im Clap-Clap-Clap-Clap-Modus. Es ist furchtbar, aber Casper will es meist nicht anders. Wie ein Fankurven-Einpeitscher auf dem Stadionzaun brüllt er ständig Feierbefehle von der Bühnenkante: „Ich will euch springen sehen!“, „Jetzt durchdrehen!“, „Alle Hände hoch!“ „Lauter, lauter!“ Amtlich abfeiern, nennt man das wohl. Die Fitness des Muscle Shirt tragenden Casper ist jedenfalls vorbildlich. Die Power, mit der er und seine fünfköpfige Band durch die erste halbe Stunde brettern, ist beeindruckend – Stadionrock im Club. Bei „Casper! Bumayé“ klingen sie ein bisschen nach Rage Against The Machine. Hier und da blitzen weitere Erinnerungen an die Crossover/Nu-Metal-Epoche Ende der Neunziger auf, in der Bands wie Korn oder Linkin Park Hip-Hop- und Rockelemente verbanden. In diese Richtung tendiert der schwülstige Song „Lux Lisbon“, dessen englischen Refrain der Keyboarder übernimmt.

Casper stellt sich in die Tradition der Hamburger Schule

Vor Pathos hat Benjamin Griffey, wie Casper bürgerlich heißt, generell keine Angst. Deutlich zu erkennen an seinem aktuellen Albumcover, das die Taufe einer jungen Frau in einem Fluss zeigt. Das im Gegenlicht aufgenommene Foto wirkt reichlich übertrieben. Doch für den Wahlberliner Casper ist das wahrscheinlich weit weniger exotisch, wuchs er doch als Sohn eines Amerikaners und einer Deutschen teilweise in Georgia auf.

Eine Abwandlung des Covermotives hängt im Bühnenhintergrund des SO36: Die Getaufte steht mit ausgebreiteten Armen im Fluss – ein Mitglied der Kirche von Casper. Wie alle hier. Die Zuhörer sind so textsicher, als hätten sie seit dem Erscheinen von „Hinterland“, nichts anderes mehr an ihre Ohren gelassen. Mitunter werden die „Oh oh“-Chöre noch über das Ende des Liedes hinaus weitergegrölt.

Am stärksten ist Casper, wenn er in seinem leicht rauen Sprechgesang von der Provinz und dem Ausbrechen aus ihr erzählt: „Diese Geisterstadt, nunmehr dein Heimatkaff/Wo bis zum Leichensack jeder redet keiner macht“, fauchte er in „Die letzte Gang der Stadt“, um schließlich bei der ultimativen Verweigerungsparole „Anti alles für immer“ zu landen. Solche prima mitskandierbaren Zeilen sind Teil seines Erfolgsgeheimnisses. Zum anderen füllt er das Vakuum, das nach dem Ende der Hamburger Schule, der Pause von Wir sind Helden und der Verläpperung von Gruppen wie Silbermond im deutschsprachigen Indie-Rock entstanden ist. Ganz offensiv stellt er sich mit Sterne- und Tocotronic-Zitaten in diese Tradition und fügt noch die Rebellenposen alter Politpunks wie Slime („Ein Drittel Heizöl, zwei Drittel Benzin“) hinzu. Dass er mehr rappt als singt, macht nichts – Genres zu mischen ist heute eine Selbstverständlichkeit.

Und weil Casper ein Schlauer ist, hat er die derzeit einzige deutsche Indie-Rock-Hoffnung auch schon ins Boot geholt: Felix Brummer, der Sänger von Kraftklub, kommt für das Stück „Ganz schön okay“ auf die Bühne. Darin freuen sich die beiden einander zu sehen und feiern den derzeitigen Erfolg ihrer Musik. Sie machen das auf eine so nette, wenig auftrumpfende Weise, dass man ihnen gerne zuhört und einstimmt in das große „Hallo-o-ohh“ der Hookline.

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