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Versteckspiele. Cat Power legt diesmal oft Effekte über ihre Stimme.

©  Jenni Li/Matador

Cat Power: Du kannst ein Superheld sein

Musik als Akt der Selbstbefreiung: Die Cat Power hat eine harte Zeit hinter sich. Auf ihrem neunten Album „Sun“ gibt sie sich dennoch zuversichtlich und hat ihre Liebe für die Elektronik entdeckt.

Ein Hotelzimmer in Hamburg. Etwas hektisch betritt Chan Marshall, bekannt unter dem Namen Cat Power, den Raum. Sie trägt eine Kurzhaarfrisur und redet ohne Punkt und Komma: „Gestern habe ich ein Joseph-Beuys-Poster gekauft. Gefällt dir meine neue Frisur? Ich habe mir meine Haare jetzt so geschnitten wie auf dem Cover des neuen Albums. Das Foto darauf entstand vor 20 Jahren. Lass uns auf den Boden setzen. Ich brauche eine Zigarette. Ich rauche seitdem ich fünf oder sechs Jahre alt bin. Es ist ein Albtraum. Denis Johnson hat in seinem Buch ,Stars At Noon’ über Zigaretten geschrieben, dass sie eine Packung voller Freunde sind. Das stimmt wohl.“ Die Gedanken der 40-Jährigen sind sprunghaft. Wenn sie sich mal wieder in einem Satz verliert, entschuldigt sie sich mit einem „Sorry“.

Cat Power ist nach Deutschland gekommen, um über ihr neues – das neunte – Studioalbum „Sun“ zu sprechen. Sie gibt sich sehr offen, wie immer schon im Laufe ihrer Karriere. Sich in Interviews zu entblößen, ist für sie kein Problem. Das Gleiche gilt auch für ihre Musik. Anfang der neunziger Jahre begann sie, ihre Songs in New Yorker Bars zu singen. Meistens saß sie alleine und nur mit ihrer Gitarre auf der Bühne. In ruhigen Momenten wehte ihre hauchende Stimme wie eine leichte Brise über das Publikum. Wenn sie sich dann aber in ihre Emotionen stürzte, überschlug sich ihr Gesang. Es wurde laut. Wut und Schmerz brachen heraus, während Marshall sich hinter den langen Haaren und ihrer Gitarre versteckte.

Sie brauchte diesen Schutzwall, weil sie unbändiges Lampenfieber plagte: „Schon als kleines Kind habe ich es geliebt, zu singen. Als ich angefangen habe, meine eigenen Worte zu singen, hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr lange leben werde. Es ging bei der Angst aber nicht darum, unbedingt auf der Bühne zu stehen und vor Leuten singen zu müssen. In meinem Unterbewusstsein existierte ein angeborenes Gespür für Angst, das mir total bewusst war. Das kam dann auf der Bühne zum Vorschein.“

Diese Angst führte schließlich dazu, dass sie ihre Konzerte nur noch mit der Hilfe von viel Alkohol spielen konnte. Auf der Bühne wirkte sie dann apathisch und abwesend, murmelte ins Mikrofon und brach Auftritte auch schon mal ab. 2006 dann der psychische Zusammenbruch. Die Tour zu ihrem großartigen Album „The Greatest“ musste abgesagt werden. Ein kurzer Aufenthalt in einer Entzugsklinik folgte. Seitdem betrachtet sie sich als „nüchtern“, obwohl sie sich durchaus ein Glas Wein oder einen Drink am Abend erlaubt.

Die Krisen-Erfahrung veränderte Cat Power. Sie lernte kurz danach den Schauspieler Giovanni Ribisi kennen, verliebte sich in ihn und zog zu ihm nach Los Angeles: „Ich habe nirgendwo so lange gewohnt wie in Kalifornien. Vier Jahre ist die längste Zeit, die ich in meinem Leben an einem Ort gelebt habe. Das war eine große Herausforderung für mich. Als ich mit Giovanni zusammengezogen bin, hatte er seine Familie und Freunde. Das war also eine sehr herzliche Umgebung für mich.“ Die Beziehung ging vor kurzem zwar in die Brüche, die Ideen für die neuen Songs stammen aber aus dieser Zeit.

Sehnsucht, Verzweiflung und Schwermütigkeit, die noch auf „The Greatest“ mit Streichern, Klavier und dem jazzigen Schlagzeug untermalt wurden, weichen einem vorsichtigen Optimismus. Cat Power hat den Synthesizer entdeckt und so ihrem Sound deutlich mehr Elektronik als bisher zugefügt. Außerdem hat sie für „Sun“ ihren Gesang häufig verzerrt und verdoppelt aufgenommen. Für den langjährigen Cat-Power-Hörer mag das verstörend wirken, da ihrer Stimme so die Reinheit genommen wird, die sie so besonders macht. Im Kontext des Albums erscheint diese Herangehensweise aber stimmig. Denn Cat Power versteckt sich auf „Sun“ in gewisser Weise vor sich selber. Ursprünglich hatte sie nämlich wieder ein eher düsteres Album geschrieben, verwarf das Material aber dann.

So sind die Texte diesmal nicht so traurig geworden. Sie driften sogar mitunter ins Ratgeberhafte, wie beispielsweise in „Human Being“: „Du bist ein menschliches Wesen. Du hast ein Recht darauf, dass zu sein, was du willst. Du hast deine eigene Stimme, also singe! Du hast deine eigenen Hände, also los, lass uns etwas erschaffen!“, heißt es da. Und im Titelstück „Sun“ singt sie: „Wir sind frei, du und ich, wir können endlich loslaufen.“ Ist das Album also der Befreiungsschlag einer Künstlerin, die immer mit sich selber zu kämpfen hatte? Ist sie jetzt ausgeglichener ? „Ich bin immer noch dasselbe Ich und habe dieselben Fragen. Ich hinterfrage immer noch dieselben Antworten. Durch all meine Fehler habe ich aber gelernt, bessere Entscheidungen zu treffen“, sagt sie.

Das gilt auch für die musikalische Umsetzung, die sie dieses Mal mehr an sich gerissen hat. Marshall hat fast alle Instrumente selber eingespielt, um die Kontrolle zu behalten. „Früher“, erklärt sie, „wusste ich nicht, dass man eine Wahl hat. Jetzt weiß ich das und kann selber entscheiden.“ Diese Einstellung kommt besonders bei „Nothing But Time“, das sie zusammen mit Iggy Pop singt, zum Vorschein: „Den Song habe ich für die Tochter meines damaligen Freundes geschrieben, weil die anderen Schulkinder sie online schikaniert haben. Das ist ein großes Problem in Amerika. Kinder vor dem Teenageralter haben sich deswegen bereits umgebracht.“

Ursprünglich sollte David Bowie mitsingen, weil das Stück so wie „Heroes“ aus dem Jahr 1977 klingen sollte. Bowie sagte aber ab. Die acht Minuten sind aber auch so sehr berührend und lassen den Hörer mit einem ganz neuen Cat-Power-Gefühl zurück: Zuversicht! Die Duett-Partner singen: „Es liegt an dir, ein Superheld zu sein. Es liegt an dir, wie kein anderer zu sein. Du hast die Zeit, um dein eigenes Leben zu leben.“ Eigentlich sind diese Zeilen für ein 14-jähriges Mädchen geschrieben worden. Wenn man Chan Marshall aber immer wieder von ihrem verletzten inneren Kind reden hört und sie auf ihre fast kindliche Weise agieren sieht, wird deutlich: Diese Zeilen gelten genauso für sie: Charlyn Marie Marshall.

Cat Power: „Sun“ erscheint am 31.8. bei Matador

Dennis Kastrup

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