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CD-Kritik: Das kleine Ah und das große Oh

Staunen über Amerikas schöne neue Welt: Laurie Andersons Album „Homeland“

Von Gregor Dotzauer

Vier Takte, und die Zeitmaschine des gleichmäßig gehechelten Ha-Ha-Ha-Ha, das die gesamten acht Minuten von „O Superman“ durchzieht, transportiert einen sofort zurück an den Anfang der achtziger Jahre. Und die ganze futuristische Magie, mit der Laurie Anderson die Klänge von Kraftwerk, Philipp Glass und Meredith Monk in einem einzigen Popphänomen zusammenführte, erwachen von neuem, sobald sie mit vocoderverzerrter Stimme erhebt. Die Ode an eine mit elektronischen, petrochemischen und militärischen Armen ausgestattete Mutter war vor dreißig Jahren der Anfang ihrer Weltkarriere, die sie mit Performances auch immer wieder nach Deutschland führte. Seit „Life on a String“ (2001) aber hat die heute 63-Jährige keine CD mehr aufgenommen. In welcher visionären Zukunft würde sie nun mit den zwölf neuen Stücken von „Homeland“ ankommen?

Vom Cover schaut, leicht mokant, ein krawattierter Herr mit pechschwarz glänzendem Schnurrbart. Vielleicht verzerren aber auch nur seine asymmetrischen Brauen, die balkendick über den Augen prangen, den Blick ins Spöttische. Die Figur, die ihr Mann Lou Reed irgendwann auf den Namen Fenway Bergamot taufte, ist seit über zwanzig Jahren eines ihrer Alter Egos: ein chaplinhafter Drag King, der mit digital zum Bariton heruntergetunter Stimme wunderliche Erkenntnisse zum Besten gibt. In sanft moduliertem Sprechgesang brummelt er sich durch „Another Day in America“, das elfminütige Herzstück von „Homeland“. Verdutzt inspiziert er eine „Schöne neue Welt“, in deren Entfremdungszwängen er sich längst eingerichtet hat. „And so finally, here we are at the beginning of a whole new era. The start of a brand new world. And now what? How do we start? How do we begin?“

Laurie Andersons ganzer Wahrnehmungshaushalt funktioniert nach dem Prinzip dieses stillen Staunens. Getragen von einem wohlig-surrealistischen Gefühl, ergeht sie sich in lauter ausgesprochenen und unausgesprochenen Ahs und Ohs, nach außen hin zu arglos für die finstere Dystopie, zum Verzweifeln zu ironisch, allenfalls fähig zu Ausbrüchen von Sarkasmus. „And ah these days. All these days! What are days for? To wake us up. To put between endless nights.“ Als Prosapoeme kommen solche Texte, die sich gerne mit kleinen Pointen und Aperçus schmücken, oft nicht über enigmatische Banalitäten hinaus. Es sind, wie Laurie Anderson sagt, Reflexe auf die großen apokalyptischen Geschichten, die sich Amerika erzählt – „Geschichten darüber, wie sich die Erde erwärmt, übervölkert und gefährlich wird. Sie handeln von arktischen Fluten und schwindenden Ressourcen und Entropie. Und niemand weiß, ob sie alle fiktiv sind oder nicht.“

Gesprochen aber, zum Singsang angehoben, mit Melodien zum Schweben gebracht, gewinnen Andersons Zeilen einen vieldeutigen Charme, der gerade deshalb einen eigentümlichen Zauber ausübt, weil er nicht viel bedeutet. „Let’s say you’re invited to ,Oprah’ and you don’t have a problem / But you want to go on the show and so you need a problem / And so you invent a problem.“

Das Politische an alledem darf man nicht überschätzen. Das verbreitete Urteil, hier rechne eine Künstlerin unnachgiebig mit dem Zustand ihres Landes ab, hält einer Überprüfung nicht stand. Natürlich lauert hinter dem Homeland die hysterische Homeland Security, und Spuren der jüngsten exterritorialen Kriege durchziehen das alltägliche Bewusstsein. Doch je näher sich Laurie Anderson die unmittelbare Wirklichkeit vornimmt, um so beliebiger werden ihre Texte. „Only an Expert“ mit seinem harten Electropuls und dem eingängigen Refrain ist sicher der größte Ohrwurm des Albums. Als Kommentar zum Kollaps der Finanzmärkte enthält er keine einzige originelle Beobachtung: „Now sometimes experts lend you money / And sometimes they lend you lots of money / And sometimes when the subprime mortgages collapse / And banks close and businesses fail / And the crisis spreads around the world.“ Das steht in jeder Zeitung besser.

Musikalisch entwirft Laurie Anderson meist ebenso heimelige wie unheimliche Räume jenseits der Zeit, die in ihrem ambienthaften Sounddesign doch nach wie vor tief in den achtziger Jahren verankert sind – wie auch der im multimedialen Nirgendwo zwischen Theatern, Galerien und Clubs angesiedelte Performance-Nomade, dessen Typus sie repräsentiert, aus den letzten Tiefen des vergangenen Jahrtausends kommt. Alles klingt auf Anhieb so vertraut, dass sich die Enttäuschung, wie wenig sich Laurie Anderson weiter entwickelt hat, nur von der Genugtuung auffangen lässt, dass die repetitiven Muster, die ihre Stücke durchwirken, wieder in höchstem Maße suggestiv sind. Die Kompositionen, hat man sich erst einmal eingehört, gehen einem nach.

Komposition indes ist ein verwegenes Wort. „Homeland“ ist ein aus Tausenden von Soundfiles zusammengebasteltes Kombinationswunder, dessen Musiker einander im Studio nie begegnet sind. Ein organisches Werk zu erwarten, wäre nicht nur angesichts dieser Produktionsweise, bei der Lou Reed und Roma Baran entscheidend mithalfen, falsch. Dass der konzeptuelle Zusammenhang von „Homeland“ im Ganzen aber schwach bleibt, wird auch von all den anschmiegsam heranwehenden und wieder davonflatternden Klängen nicht überdeckt: dem flackernden Obertongesang der ostsibirischen Tuva, einem melancholischen Akkordeon, orientalischen Zitherwölkchen wie von einer Kanun, einer Free-Jazz-Attacke des Saxofonisten John Zorn, den Hintergrundvokalisen von Antony, der drama queen des zeitgenössischen Pop, und natürlich Lauries effektgesteuerter Geige und Roboterstimme.

„Strange perfumes. Long lost rooms“, singt sie einmal. Das ist es. Der Reiz lässt sich nicht leugnen, und wir haben ihn lange nicht gehabt. Jetzt aber bitte schnell zurück ins Jahr 2010.

Laurie Andersons „Homeland“ ist zusammen mit einer Making-of-DVD bei Nonesuch/Warner erschienen.

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