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Kultur: Chaos ist auch eine Lösung

Wilde Kerle, wilde Hühner: kleiner Versuch über das Erfolgsgeheimnis deutscher Kinderfilme

Gar nicht so einfach, wild zu bleiben, weder als Huhn noch als Kerl. Wenn die Pubertät vor der Tür steht, mit allen ihren Problemen. Wenn die Gegner plötzlich nicht mehr die „Pygmäen“ oder die „Unbesiegbaren Sieger“ sind, sondern der eigene Bruder oder die beste Freundin. Wenn es nicht mehr darum geht, Suppenhühner vor dem Kochtopf zu retten oder den dorfeigenen Fußballplatz gegen die Konkurrenz zu verteidigen. Und wenn zu allem Überfluss auch noch zu Hause alles drunter und drüber geht.

Es scheint, der deutsche Kinderfilm wird erwachsen, nachdem er sich gerade erst in allerschönster Kindheit eingerichtet hatte. Da mag Detlev Buck noch in Bullerbü-Manier die Freuden unbeschwerter Sommerferien auf dem Lande beschwören: Seine Cornelia-Funke-Verfilmung „Hände weg von Mississippi“ sahen 145 000 Besucher in zwei Wochen, Zielgruppe: ab fünf. Die „Wilden Hühner“ und die „Wilden Kerle“, beide schon im Fortsetzungslauf, wenden sich inzwischen an ältere Kinder. Was einerseits daran liegt, dass die Darsteller – Michelle von Treuberg mit ihrer Clique auf der Hühnerseite, die Ochsenknecht-Söhne Jimi Blue und Wilson Gonzales mit ihrer Gang auf der Kerle-Bank – auch älter werden. Da müssen sich die Regisseure Vivian Naefe und Joachim Masannek beeilen, um in Jahresfrist den nächsten Film zu stemmen, bevor ihnen die Kids über den Kopf wachsen. „Die Wilden Kerle“ sind inzwischen bei Teil vier angelangt; seit Februar wollten 2,3 Millionen Besucher „Die Wilden Kerle 4 – Der Angriff der Silberlichten“ sehen. „Die wilden Hühner“ lockten im Jahr 2005 1,1 Millionen Besucher in die Kinos. Heute startet die Fortsetzung „Die wilden Hühner und die Liebe“.

Was ist das Erfolgsrezept? Zunächst eine erfolgreiche Buchvorlage: „Die wilden Hühner“ beruhen auf der gleichnamigen Kinderbuchserie der Bestsellerautorin Cornelia Funke, „Die Wilden Kerle“ auf der nicht minder beliebten KinderFußball-Reihe von Joachim Masannek. Dazu eine rasant spielende Kinderriege, die für jeden eine Identifikationsfigur bereithält. Und deutsche Starschauspieler, die sich mit Wonne auf komische Charakterrollen stürzen. Veronica Ferres gibt in „Die wilden Hühner“ die temperamentvolle alleinerziehende Mutter, die noch immer ihrem Ex (Thomas Kretschmann) nachtrauert. Uwe Ochsenknecht ist in „Die Wilden Kerle“ der autoritäre, begriffsstutzige Vater, dem die Kids auf der Nase herumtanzen. Rufus Beck (dessen Sohn Jonathan Beck auch mit von der Partie ist) gibt dazu den verlotterten Fußballtrainer. Und Katharina Thalbach spielte unlängst in „Hände weg von Mississippi“ eine hinreißend chaotische Großmutter.

Fast ein Familientreffen also. Doch nicht nur die Aussicht, mit dem eigenen Nachwuchs gemeinsam vor der Kamera zu stehen, scheint die Schauspieler zu beflügeln. Vor allem ist es der humorvolle, nicht selten derbe Realismus, der die Filme auszeichnet. Die Chance, einmal so richtig aus sich herauszugehen – Gernot Rolls „Der Räuber Hotzenplotz“ mit Armin Rohde in der Titelrolle oder die „Sams“-Filme von Ben Verbong mit Ulrich Noethen sind weitere Beispiele. Kein Zufall, dass die spektakulären Fantasy-Romane von Cornelia Funke, vom „Herr der Diebe“ bis zu „Tintenherz“, derzeit in den USA gelesen und verfilmt werden – von den Harry-Potter-Spektakeln zu schweigen, die am 12. Juli mit „Harry Potter und der Orden des Phoenix“ in die fünfte Runde gehen, verfilmt von David Yates.

In Deutschland sucht man derweil andere Themen – mit Erfolg. „Die wilden Hühner und die Liebe“ sind ein Musterbeispiel dafür, wie aus alltäglichen Ereignissen mit witzigen Dialogen und flottem Tempo ein beschwingter, sehr bewegender Kinderfilm werden kann. Mit durchaus ernsten Tönen: Sowohl die „Hühner“- als auch die „Kerle“-Clique droht zu zerbrechen, als Liebe, Eifersucht und Misstrauen ins Spiel kommen. Dass Sprotte, die Anführerin der „Hühner“, völlig aus dem Tritt kommt, als ihr leiblicher Vater nach zehn Jahren wieder auftaucht, dass die verwöhnte Melli (Paula Riemann) aus Liebeskummer und Eifersucht fast den Freundeskreis sprengt, während die besorge Frieda (Lucie Hollmann) vergeblich zu vermitteln versucht und die stille Wilma (Jette Hering) sich in eine Klassenkameradin verliebt – das sind schon eine ganze Menge Probleme, die die Hühner durcheinanderwirbeln. Am Ende siegen Freundschaft, Loyalität und Mut: Davon träumen nicht nur Kinder.

Merke: Man braucht weder Drachen noch Zauberbücher. Das eigene Leben ist wild genug.

„Die wilden Hühner und die Liebe“ ab heute in 25 Berliner Kinos

Christina Tilmann

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