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Kultur: Charles Trenet: Ein Mann, ein Meer

Jede Landschaft ist immer nur so schön wie die Lieder, die über sie gesungen werden. Wer zum ersten Mal in seinem Leben die französische Mittelmeerküste sieht, wird dabei geradezu unweigerlich eine Melodie und einige Textzeilen zu hören glauben.

Jede Landschaft ist immer nur so schön wie die Lieder, die über sie gesungen werden. Wer zum ersten Mal in seinem Leben die französische Mittelmeerküste sieht, wird dabei geradezu unweigerlich eine Melodie und einige Textzeilen zu hören glauben. Von blauer Unendlichkeit handeln diese Zeilen, von Wolken, die wie Schafe aussehen und von einem Licht, in dem die schaukelnden Wogen wie Silbermünzen glitzern. "La Mer", so heißt das Chanson, das gewissermaßen eine Gebrauchsanleitung dafür ist, wie man auf eine sehr französische Art seine Liebe - und sei es die Liebe zum Meer - erklären kann: in funkelnden Reimen und nie ohne Pathos.

Charles Trenet schrieb "La mer" 1938, er sang es mit gravitätischer Stimme, in den Jahren danach eroberte es die Welt. Bobby Darins Coverversion "Beyond The Sea" wurde ein Nummer-1-Hit in den USA, und mit weltweit weiteren viertausend Einspielungen erreichte "La mer" fast die Rekordmarke von Ravels Bolero. In der Nacht zum Montag ist Trenet, längst ein französisches Nationalidol, im Alter von 87 Jahren bei Paris an den Folgen eines Hirnschlags gestorben. "La mer" wird ihn überleben: als Lied, das man zu hören glaubt, egal an welchem Meer man steht.

Trenet, 1913 in der Languedoc-Grenzstadt Narbonne geboren, war durchaus ein Mann für die großen Gefühle. Trotzdem nannten sie ihn "Le Fou chantant", den singenden Narren. Zur nationalen Größe war der Kunststudent aufgestiegen, als er 1937 für Maurice Chevalier das Lied "Y a de la joie" geschrieben hatte. Bei einem umjubelten Konzert bat Chevalier den blondgelockten Komponisten auf die Bühne, der fortan selber in Chanson-Palästen wie dem ABC-Theater auftrat und dabei gerne einen zu klein geratenen Hut auf dem Hinterkopf trug. Trenet brachte den Jazz in das Chanson, so war es folgerichtig, dass er nach dem Krieg für sechs Jahre nach Amerika ging. Als er 1951 nach Paris zurückkehrte, war das nur das erste von etlichen triumphalen Comebacks. Trenet schuf rund 850 Lieder, sein "Douce France" gilt als zweite Nationalhymne. Seine ersten Abschiedstourneen gab er in den siebziger Jahren, danach hat er einfach immer weitergemacht. "Mein Kalender ist voll", sagte Trenet 1996, "ich habe nur noch zwei Jahre vor mir." Er bekam noch einmal Aufschub.

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