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Gérard Biard Chefredakteur der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo.

© Kai-Uwe Heinrich

"Charlie Hebdo"-Chef im Interview: "Eine gute Karikatur ist ein Aufschrei"

Gérard Biard, Chefredakteur des Satiremagazins „Charlie Hebdo“, über die umstrittenen Flüchtlings-Cartoons, die Trennung von Politik und Religion – und das Weiterleben nach dem Anschlag.

Gérard Biard arbeitet seit 1992 für das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo", auf dessen Redaktion am 7. Januar 2015 in Paris ein islamistisches Attentat verübt wurde. Zwölf Menschen starben.

Am Donnerstagabend nimmt Gérard Biard im Rahmen der Potsdamer Medienkonferenz Sanssouci Colloqium den M100 Media Award für die Verdienste von „Charlie Hebdo“ um die Meinungsfreiheit entgegen.

Monsieur Biard, wie geht es Ihnen und Ihren Kollegen, acht Monate nach dem Massaker in der Redaktion?

Wir versuchen, einfach weiterzumachen und genau die Zeitung jede Woche herzustellen, die wir 24 Jahre lang gemacht haben. Wir versuchen, nicht daran zu denken, was passiert ist. Wir machen weiter, trotz all der Schwierigkeiten. Wir müssen sehr gute Zeichner finden, aber uns wird immer klarer, wie herausragend die getöteten Kollegen Charb, Honoré, Wolinski, Tignous und Cabu waren. Auch wenn es hart klingt: Viele Karikaturen sind nicht gut genug. Wir fragen selber Zeichner an, aber die guten sind viel beschäftigt. Etwa Ralf König, den ich persönlich sehr schätze. Nach einer Bedenkzeit sagte er leider ab, auch mit dem Argument, dass er mit dem Format nicht zurechtkomme, er sei ein Comic-Zeichner. Ralf König hat bestimmt keine Angst, mit uns zusammenzuarbeiten, aber er hat Respekt vor dem Format und dem Zeitdruck eines Wochenheftes.
Was macht eine gute Karikatur aus?
Sie muss uns zum Lachen bringen. Und sie muss eine Aussage haben, eine politische, eine soziale. Es war extrem hart, das erste Cover nach dem Attentat vom 7. Januar zu zeichnen. Luz, also Renald Luzier, hat es geschafft, mit „Tout es pardonné". Es war sehr schmerzhaft für ihn, physisch wie psychisch. Aber wir sahen es, und wir lachten. „Charlie Hebdo“ ist vielleicht die einzige Zeitung, die Journalisten als Karikaturisten beschäftigt, die sich für Politik interessieren, noch dazu für französische. Das ist nicht immer lustig.
Warum soll man über Dinge lachen, die nicht komisch sind: Terrorismus, Fundamentalismus, Flüchtlingskrise?
Weil Lachen die beste Medizin gegen das Tragische ist, gegen das Monströse im Menschen. Es gibt keinerlei thematische Restriktionen bei uns, aber was es nicht geben darf, das ist der falsche oder fragwürdige Umgang mit Themen: keine rassistischen, sexistischen, homophoben Karikaturen. Das ist die Generallinie, ansonsten hat jeder Redakteur seine eigenen Tabus.
Wir haben bei „Charlie Hebdo“ kein Problem damit, uns über das zu belustigen, was Menschen denken. Aber wir machen uns nicht über das lustig, was sie sind. Das ist der Unterschied zwischen Rassismus und Meinungsfreiheit.
Derzeit wird die aktuelle Ausgabe von „Charlie Hebdo“ kritisiert, mit mehreren Karikaturen zu dem toten Flüchtlingskind Alan am Strand. Peter Herbert, Chef der britischen Society of Black Lawyers, hat dazu getwittert: „Charlie Hebdo ist ein rassistisches, xenophobes und ideologisch bankrottes Magazin, das den moralischen Verfall Frankreichs repräsentiert.“ Wie reagieren Sie darauf?
Jeder kann eine Karikatur, einen Artikel kritisieren. Ich würde mir aber gerne erklären lassen, was an dem Bild rassistisch ist. Ich kann verstehen, dass es schockiert, wie jede gute Satire. Tausende Menschen suchen Zuflucht in Europa, wir sehen hunderte Fotos mit Flüchtlingen, und es ist uns egal. Und dann sehen wir dieses eine Foto, ein perfektes Bild, ohne Gewalt, als schlafe der Junge. Ein Symbol der Gesamtsituation: Auch angesichts der Flüchtlingstragödie machen wir weiter wie bisher, stellen unsere Fast-Food-Reklame auf.

Je schärfer die Reaktion, desto besser die Karikatur?
Vielleicht gibt es da eine Beziehung, auch wenn wir sie nicht anstreben. Es stimmt aber: Eine gute Karikatur ist ein Aufschrei.
Die meisten Proteste gab es in den sozialen Netzwerken. Ein Problem?
Das Internet hat zwei Gesichter. Es gibt dort Reflexion, Information und Debatte, aber auch unendlich viel Hass und Dummheit: Porno, Katzen auf Skateboards, Shitstorms. Auch Hass gegen uns, Morddrohungen. Das sind keine Meinungen, sondern Aufforderungen zu Straftaten.
Sie als Verteidiger der Meinungsfreiheit wollen mehr Kontrolle im Internet?
Nein, es geht nicht um Kontrolle. Wir werden nur eines Tages vielleicht feststellen, dass der Preis zu hoch ist, den wir für die Freiheit im Internet zahlen.
„Charlie Hebdo“ ist eine Ikone der Meinungs- und Pressefreiheit geworden. Ist es anstrengend, eine Ikone zu sein?
Es ist ganz schön schwer, denn unser Job besteht ja umgekehrt darin, Ikonen zu bekämpfen und uns über sie lustig zu machen. Wir stehen jetzt im Rampenlicht, als Symbol für bestimmte Werte wie Gedankenfreiheit. Aber diese Werte müssen von allen beschützt werden. Wir sind nicht die Tempelwächter.

"Ich bin wütend, nicht ängstlich"

Gérard Biard Chefredakteur der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo.
Gérard Biard Chefredakteur der französischen Satire-Zeitung Charlie Hebdo.

© Kai-Uwe Heinrich

Die große Publicity, die „Charlie Hebdo“ seit dem Anschlag hat, die Millionen-Spenden: eine Hilfe oder eine Last?
Alle Spenden gehen an die Angehörigen der Opfer, auch an die Opfer etwa aus dem jüdischen Supermarkt. Das Geld aus den Abonnements und den Verkäufen …
… derzeit 180 000 Abonnenten, zusätzlich 100 000 Kioskverkäufe ...
...brauchen wir, damit „Charlie Hebdo“ überlebt. Machen wir uns keine Illusionen: Wir werden nicht ewig als Helden gelten. Wir wollen aber gerne da bleiben, mindestens weitere 24 Jahre. Dafür brauchen wir ein finanzielles Polster. Hinzu kommen die Kosten für den Personenschutz, 500 000 Euro im Jahr.
Wie kommen Sie mit der Angst klar, mit Ihrer Verantwortung für die Mitarbeiter?
Ich persönlich habe keine Angst, ich war am 7. Januar unterwegs. Ich war nicht dabei, als meine Kollegen starben, ich habe die Leichen meiner Freunde nicht gesehen. Ich bin wütend, nicht ängstlich. Aber ich verstehe, dass meine Kollegen, die dabei waren, Angst haben. Es ist klar, dass wir Rücksicht darauf nehmen. Wenn jemand nicht weiß, ob er es jeden Tag in die Redaktion schafft, ist das in Ordnung. Da spiele ich nicht den Boss.

Gibt es denn Autoren oder Zeichner, die Angst haben, mit „Charlie Hebdo“ in Kontakt zu treten?
Nur sehr vereinzelt. Zum Beispiel baten wir Taslima Nasrin …
… die Schriftstellerin und Menschenrechtsaktivistin aus Bangladesch, die selber mit dem Tod bedroht wurde …
… um einen Artikel für die Ausgabe nach dem Anschlag. Sie zog ihn in letzter Sekunde zurück, weil es wieder Drohungen gab. Ich habe dafür vollstes Verständnis.
Warum rufen religiöse Karikaturen immer am meisten Empörung hervor? „Je suis Charlie“, aber Mohammed- und Papstwitze, das geht zu weit?
Zum einen ist es eine Frage der Instrumentalisierung. Die Kontroverse um die dänischen Mohammed-Karikaturen begann lange nach ihrer Veröffentlichung. Sie wurden von einem religiösen Extremisten mit anderen Zeichnungen, die keine Cartoons waren, ins Netz gestellt, worauf es Proteste in Ländern gab, in denen öffentliche Proteste ansonsten verboten sind. Die Karikaturen waren ein Vorwand.

Um die Demokratie zu attackieren?
Ja, sicher. Außerdem findet eine Vermischung zwischen Religion und Politik statt. Unsere Karikaturen mokieren sich nicht über den Glauben, sondern über dessen Missbrauch zu politischen Zwecken. Salman Rushdie sagte einmal, was wir im Westen Respekt nennen, ist in Wahrheit oft Furcht. Wir haben Angst vor den Drohungen derjenigen, die ihre totalitären Ideologien mittels Religion installieren wollen, und verschließen die Augen vor der Gefährdung der Demokratie. Es ist sogar das Gegenteil von Respekt: Die ersten Opfer von islamistischem Terror waren Muslime. Wir missachten sie, wenn wir Respekt vor denen fordern, die sie foltern und töten. Wir kritisieren keine Moslems, Christen oder Juden. Wir zielen auf die religiösen Führer, etwa auf den Papst, weil er auch eine politische Autorität ist. Der Vatikan ist ein Staat. In jeder Demokratie muss es das Recht geben, zu sagen: „Der Papst ist ein Arschloch“ – excuse my French. Oder: „Hollande ist ein Arschloch“. Nein: „Sarkozy ist ein Arschloch“.
Macht sich „Charlie Hebdo“ auch über die Linke lustig oder über den Laizismus?
Über die französische Linke, aber natürlich! Über den Laizismus muss man sich nicht lustig machen, denn er ist kein Glaube, sondern ein Grundpfeiler der Demokratie. Ohne Laizismus funktioniert die Demokratie auf die Dauer nicht. Der französische Laizismus besagt übrigens, dass die Religion sich nicht in politische Angelegenheiten einmischen darf, während der angelsächsische Laizismus umgekehrt will, dass der Staat sich nicht in religiöse Dinge einmischt. Es gehört zu den demokratischen Prinzipien, dass Ideen und Gesetze diskutiert, kritisiert, auch karikiert werden können. Deshalb gibt es keine Blasphemie in der Demokratie: Weil es essentiell ist, dass Gesetze geändert werden können. Jeder Bürger hat die Freiheit, gläubig zu sein oder auch nicht, aber der Staat selber muss atheistisch sein.
Warum soll sich die Religion raushalten?
Weil sie nicht an die Debatte glaubt, sondern an die eine, einzige Wahrheit. Niemand hat die Wahrheit gepachtet, gerade Diktatoren wie Stalin oder Hitler nahmen das gern für sich in Anspruch. Auch bei sympathischen Politikern ist Vorsicht geboten, wenn sie die Wahrheit predigen.
Preise zu bekommen, ist immer schön. Was bedeutet Ihnen der M 100 Media Award?
Er ist wichtig, weil er nicht von einem bestimmten Club oder einer Mediengruppe verliehen wird, sondern von der gesamten Presse. Wir erhalten den Preis, weil wir Prinzipien verteidigen. Überzeugungen, für die Menschen getötet wurden.
Das Gespräch führten Joachim Huber und Christiane Peitz.

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