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Pionierin, Ikone, Star. Charlotte Rampling ist berühmt für ihren Blick, der im Nu von Güte auf Härte umschalten kann – und umgekehrt.

© hoehnepresse

Charlotte Rampling: "Die Welt da draußen ist gefährlich"

„Ich will interpretieren, nicht mich ändern. Eigentlich weiß ich nicht, wer das ist: ich.“ Die Schauspielerin Charlotte Rampling über den Schutz der Rolle, den Kraftakt der Liebe und das Filmporträt „The Look“.

Frau Rampling, Sie gelten als äußerst diskret. Der Film „The Look“ ist nun ein Porträt von Ihnen, Sie erzählen Privates ...

… und nun sitze ich auch noch hier und rede mit Ihnen. Eigenartig.

Ihr Vater war britischer Berufsoffizier, hätte er den Film gemocht?

Ich glaube, ja. Es wäre vielleicht der einzige meiner Filme gewesen, den er gut fand. Obwohl, ich weiß nicht einmal, ob er je meine Filme gesehen hat. Wir haben nie darüber gesprochen.

Sie scherzen.

Nein. Meine Arbeit war kein Tabu, sie war einfach kein Thema.

„The Look“ ist in neun Kapitel unterteilt, in denen es um Liebe und Schönheit geht, um Tabus, Dämonen oder den Tod.

Wir hatten kein Drehbuch, nur die Kapitel gaben die Dramaturgie vor. Wir führten alle Gespräche spontan und haben nichts nachgebessert. Es gab etwa 20 Drehtage, die sich über vier Jahre hinzogen. Ich wollte oft nicht weitermachen und war, ehrlich gesagt, manchmal sogar unzuverlässig, was äußerst untypisch für mich ist. Ich habe ein ausgeprägtes Pflichtgefühl. Und dann haben wir uns doch wieder getroffen und weitergefilmt. Es lag an der Regisseurin ...

... Angelina Maccarone, sie lebt in Berlin, hat italienische Wurzeln.

Angelina ist mir sehr nah. Sie spricht wenig, sie ist schüchtern.

Zu den Kapiteln werden Ausschnitte aus Ihren Filmen gezeigt.

Ich wollte auf keinen Fall eine normale Dokumentation, in der alle möglichen Leute befragt werden und nette Dinge über mich sagen. So kam Angelina auf die Idee, dass ich mit Leuten über ein Thema spreche.

Nun sprechen Sie mit dem Fotografen Peter Lindbergh, dem Schriftsteller Paul Auster, mit Ihrem Sohn, mit dem Sie auch gedreht haben. Und dann sieht man diese wunderbaren Ausschnitte, aus „Die Verdammten“ oder aus „Stardust Memories“.

Ich liebe so etwas. Ich bin so froh, dass man heute alles googeln und sich Filmausschnitte auf Youtube anschauen kann.

Sie äußerten die Befürchtung, die Briten könnten den Film selbstverliebt finden.

Oh, so bin ich erzogen worden. Auch mein Vater war nur heimlich stolz auf mich, er hat Ausschnitte aus Zeitungen aufbewahrt, aber er hätte es mir nie gesagt. Wir haben in unserer Familie nicht über solche Dinge geredet. Unterhaltungen mit meinem Vater waren immer genau da zu Ende, wo es persönlich hätte werden können und um Gefühle gegangen wäre.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Rampling bekannt wurde.

Bekannt wurden Sie 1974 mit „Der Nachtportier“, der von der Zensur verboten wurde. Da geht es um einen SS-Schergen und Sadomasochismus … Das muss Ihre Eltern provoziert haben.

Ich bin in den 40er Jahren geboren, war ein Mädchen aus gutem Hause. Diese Art Kino war jenseits all dessen, was damals als normal galt. Nette Komödien waren gang und gäbe. Plötzlich gab es Filme wie Bertoluccis „Der letzte Tango“…

... dem der „Stern“ damals „aggressive, animalische Sexszenen“ attestierte.

Die Generation meiner Eltern hatte insgesamt Probleme damit. Meiner Mutter ging es nie mehr gut, nachdem meine Schwester gestorben war. Mutter war eine sehr liebe Frau, und weil sie so traurig und krank war, zog ich mich lieber zurück und ließ meine Eltern in Ruhe. Ich wollte sie all dem Trubel nicht aussetzen.

Eine Familie des Schweigens.

Ja, das habe ich in meiner Familie gelernt: nicht viel mit Menschen zu reden. Ich hörte zu und zog meine eigenen Schlüsse. Die Schauspielerei war großartig für mich, da konnte ich diese Haltung ändern – und in der Rolle anderer Menschen sprechen. Ich konnte Gefühle herauslassen und musste keine Angst haben, denn es waren doch nur erfundene Geschichten.

Sie wurden zu einem Chamäleon.

Ich wollte immer interpretieren. Aber ich wollte mich dabei nie selbst verändern. Eigentlich weiß ich gar nicht, wer das ist: ich. Sagen wir so: Wenn man sich lustige Hüte aufsetzt, bleibt man doch man selbst, die Identität verändert sich nicht.

Ihr Blick ist berühmt geworden. Sie können den Ausdruck Ihrer Augen innerhalb von einer Sekunde von sanft auf eiskalt verändern. Selbst unter großen Schauspielern macht Sie das zu etwas Speziellem.

Vielleicht ist das eben: Talent. Es ist ja nur ein winziger Teil in diesem Mix aus harter Arbeit, Fleiß, Technik, Geduld, Leidenschaft, Disziplin. Fünf Prozent sind Talent, höchstens. Doch dann gibt es diesen einen besonderen Moment, in dem etwas aus dem Erwartbaren ausbricht. Diese fünf Prozent machen es dann aus.

Wenn Sie eine einsame Frau spielen, erscheint Einsamkeit plötzlich attraktiv.

Das ist ja das Faszinierende am Kino. Sie bekommen als Zuschauer eine visuelle Verbindung zu Emotionen. Wenn eine Frau im Drehbuch als einsam beschrieben wird, spiele ich sie mit Hingabe, und wenn meine Hingabe überzeugend ist, mögen Sie plötzlich das damit verbundene Gefühl. Das kann auch die Einsamkeit sein.

Sie sagten, Sie waren in jungen Jahren still, zurückgezogen. Auch schüchtern?

Ich weiß nicht, ob schüchtern das richtige Wort ist. Ich bin eher verschlossen. Um ehrlich zu sein: Ich habe Angst vor der Welt da draußen. Ich finde sie gefährlich. Da sind die Dämonen, und sie sind unsichtbar. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe keine Angst vor der Wirklichkeit oder davor, dass ein Killer hier eindringt und mich angreift. Auf den würde ich mit meinen Fäusten losgehen.

Lesen Sie auf Seite drei, ob die Angst vor Dämonen Sie einschränkt.

Schränkt die Angst vor Dämonen Sie ein?

Sie hat mich fertiggemacht, hat mich gelähmt, viele, viele Jahrzehnte lang. Aber ich habe gelernt, sie zu bezähmen, so dass sie mein Leben nicht ständig behindert. Denn das ist der große Trick: zu akzeptieren. Wenn du etwas bekämpfst, egal, welches Gefühl, wird es nur immer größer. Es ist dasselbe mit den Schmerzen. Wenn du den Schmerz bekämpfst, wird er immer größer – und vergeht nicht.

Sehr vage bleibt im Film das Thema Liebe.

Zugegeben, das Kapitel ist sehr leicht geworden. Ich weiß nicht viel über die Liebe, mag auch nicht über sie sprechen.

Wird man denn mit den Jahren, mit erlebter Liebe, nicht etwas versierter?

Ich weiß, wie Liebe sich anfühlt. Und ich weiß, dass man im selben Moment lieben und hassen kann. Offenbar muss beides sein. Und wenn man älter wird, versteht man, dass beides seine Berechtigung hat.

Können Sie erklären, warum sich manche Menschen ein Leben lang lieben können – so wie Ihre Eltern – und andere nicht?

Mein Vater hat sein Leben lang hart daran gearbeitet, meine Mutter lieben zu können. In der Mitte seines Lebens, in der Zeit, in der es meiner Mutter wegen meiner Schwester nicht gutging, habe ich meine Eltern zum Set eines Films eingeladen, nach Biarritz. Es war sehr schön dort, ich habe sie in einem wunderbaren Hotel einquartiert, sie konnten Massagen buchen, alles haben, was sie wollten. Eines Abends saßen wir auf der Terrasse mit Meerblick, meine Mutter saß meinem Vater gegenüber, und er sagte zu mir, als wenn sie nicht da wäre: „Weißt du, ich liebe deine Mutter nicht.“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Meine Mutter war sehr in ihren Kummer versunken, aber absolut aufnahmefähig. Er sagte auch: „Ich weiß nicht, wie man liebt. Ich kann keine Liebe fühlen.“

Ihre Eltern sind nach jenem Abend zusammengeblieben?

Selbstverständlich. Diese Anekdote ereignete sich ungefähr 20 Jahre bevor meine Mutter starb. Meine Mutter hat ihren Mann immer bewundert, und er hat sich um sie gekümmert. Ich denke, an diesem Abend begann seine Reise zu ihr. Mein Vater hat es geschafft, meine Mutter schließlich zu lieben. Zumindest am Ende war es eine schöne Beziehung.

Bleibt die Liebe immer gleich wichtig?

Wenn man die Liebe erlebt hat, mit all den Verletzungen, Kränkungen und Verlusten, die sie mit sich bringt, dann kommt der Tag, an dem man weiß: Ich könnte jetzt mit dem Alleinsein leben. Das dürfen Sie nicht mit Einsamkeit verwechseln. In ihr steckt die Sehnsucht nach Zweisamkeit. Das Alleinsein kann man dagegen mögen. Mein Vater lebte zehn Jahre länger als meine Mutter, und er war sehr zufrieden, so für sich zu sein.

Das Gespräch führte Gabriela Herpell.

Charlotte Rampling – The Look heißt Angelina Maccarones Film in neun Kapiteln über die britische Ausnahme- Schauspielerin. In Berlin läuft er im Babylon Kreuzberg, Capitol, Cinema Paris, Cinemaxx Potsdamer Platz und im Filmtheater am Friedrichshain (OmU).

Rampling, 1946 in Sturmer, Essex, geboren, begann ihre Karriere im Swinging London der 60er Jahre, trat in Viscontis „Die Verdammten“ auf, machte 1974 in Liliana Cavanis Der Nachtportier Skandal und gilt seitdem als Tabubrecherin. Sie spielte unter Regie von Sydney Lumet, Alan Parker, Woody Allen oder François Ozon („Swimming Pool“), inspirierte die Fotografen Helmut Newton und Juergen Teller. In Lars von Triers Melancholia ist sie derzeit als wunderbar garstige Brautmutter zu sehen.

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