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Musik für alle Welt. Die Berliner Philharmoniker werben für ihre Digital Concert Hall.

© Stiftung Berliner Philharmoniker

Kultur: Chat over Beethoven

Zerstreuung oder Konzentration: Geht die digitale Vermarktung der Klassik an die Substanz?

Bei der Sprache fängt es an, wie so oft. Menschen, die sich im sozialen Netzwerk Facebook bewegen, nennt man User oder Nutzer. Deutsch und/oder Englisch, beides geht. Mit Leuten, die gerne twittern (zwitschern?), tut man sich schon schwerer. Die heißen im Netz-Sprech „Followers“, und das ist kaum zu übersetzen. Folger? Verfolger? Verfolgte? Wem oder was mögen sie auf der Spur sein? Einer Institution, einem Gedanken, allem, was ihnen so vor die Flinte läuft? „Beim Microblogging-Service Twitter haben die Berliner Philharmoniker bereits 10 000 Followers“, heißt es auf der Homepage der Philharmoniker (aktuell sind es sogar 15 262). Das klingt stolz. Das klingt, als habe man die schöne neue virtuelle Welt erobert, den globalen Newsroom geentert. Im Gegensatz zum Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin zum Beispiel, das gar keine Followers hat und vielleicht auch keine haben will. Oder zum Theater Erfurt mit seinen 213.

Was Twitter macht? Allen, die das nicht so genau wissen (und das dürften in den Reihen des philharmonischen Publikums nicht wenige sein), wird es erklärt: „Hier informieren wir Sie schnell und in aller Kürze über neue Live-Übertragungen und aktuelle Youtube-Trailer und senden Ihnen Links zu interessanten Rezensionen und Artikeln.“ Eine Art elektronischer Nachrichtenticker also mit eingebautem Wellness-Filter. Tendenziell missliebige, weil kritische Texte zu den jüngsten Aktionen der Philharmoniker sucht man hier vergebens, was in der Natur der Sache liegt. Man will werben, informieren, Teilhabe bieten, Service – und nicht unnötig kompliziert sein oder abschrecken. @BerlinPhil: jederzeit alles über die Philharmoniker? Zumindest alles über die Philharmoniker, was die Philharmoniker wollen.

Früher, in der netzfreien Zeit, hat der Mensch und Veranstalter das, was er zu verkünden hatte, gedruckt und verteilt. Als Plakat oder Prospekt, als Anzeige in der Zeitung, als Saisonbroschüre. Eine ziemlich demokratische Vorgehensweise (wenigstens ab dem Moment, da der Analphabetismus im Abendland keine gravierende Rolle mehr spielte). Das hieß zwar nicht, dass sich jeder Interessierte zu den Angeboten auch Zugang verschafft hätte – rezipieren aber konnte er sie. Und die Schnittmenge zwischen denjenigen, die das Jahresprogramm der Berliner Philharmoniker bloß in Händen hielten, und denen, die sich anschließend in einem der Konzerte wiederfanden, dürfte relativ groß gewesen sein.

Das ist heute anders. Das gute alte Jahresprogramm gibt es zwar immer noch (selten war seine Aufmachung so hässlich!) und leibhaftige Konzertgänger auch. Gleichzeitig aber wird in einem beispiellosen Marketing-Hype (und mit falschem sozialen Furor) um die virtuelle Gemeinde herumscharwenzelt: um jene User, Followers, „Freunde“ und Fans, die vorerst keine Chance haben, sich eine Karte zu kaufen, weil ihnen das Geld fehlt oder sie gerade in der Wüste sitzen oder ohnehin noch nie in einem klassischen Konzert waren. Nichts gegen die Wüste und erst recht nichts dagegen, die Weiten und Tiefen des Internets auch für die Verbreitung von Kultur zu nutzen. Die Gefahr der Verwechslung aber von Mittel und Zweck ist groß.

Denn worum geht es? Geht es, im Falle der Philharmoniker, um die Abo-Zahlen der (knapp Kosten deckend agierenden) Digital Concert Hall oder um die in der Philharmonie? Geht es um die meisten Postings im Internet oder darum, die Eintrittspreise so zu staffeln, dass möglichst viele gesellschaftliche Schichten erreicht werden (in der nächsten Saison kosten die Karten in einzelnen Kategorien bis zu 25 Prozent mehr)? Geht es um die Marke oder um die Musik? Die Gleichung jedenfalls, dass dem die Zukunft gehöre und das neue, jüngere Publikum, um das alle buhlen, der mit den flinkesten Fingern auf der Klaviatur der digitalen Vermittlungs- und Verpackungskünste spiele, und nur da, diese Gleichung greift sicher zu kurz. Das ist wie mit dem Kind, das glaubt, die Milch komme aus dem Tetrapack – und irgendwann die Kuh auf der Weide bestaunt (wenn es Glück hat). Vielleicht ist der Youtube-Junkie und DCH- Besucher aber demnächst auch der Meinung, dass ihm sein Laptop vollkommen genügt und er nichts entbehrt.

Wer permanent postet, zappt, chattet und surft, ist gut im medialen Multitasking, in der Kunst der Zerstreuung; konzentriertes Zuhören allerdings erfordert andere Fähigkeiten, sozusagen die entgegengesetzten. Wer nicht permanent postet etc., hört deswegen nicht konzentrierter und besser zu, hat aber zumindest Kapazitäten frei. Sechs Millionen Nutzer sollen in jüngster Zeit ihre Facebook-Konten gelöscht haben. Der Mensch vor seinem Computer will nicht automatisch identifiziert und in jeder einzelnen Regung „verfolgt“ werden. Man kann es tragisch finden oder ironisch, dass die als elitär und verschnarcht verschrieene Hochkultur sich ausgerechnet jetzt anschickt, auf den Zug der sozialen Netzwerke aufzuspringen. Unter eifriger Missachtung übrigens all jener Werte, die sie selbst in die Waagschale zu werfen hätte – und nach denen der genervte User, Fan und Follower wahrscheinlich längst sucht.

Apropos Facebook: Hier könne man „Gleichgesinnte“ treffen und Themen rund um die Philharmoniker „diskutieren“, verspricht die Homepage. Auch Pausengespräche oder solche in der Kassenschlange erreichen selten Einstein’sches Niveau. Die Banalität von Facebook-Einträgen aber ist meist nicht zu übertreffen und muss etwas mit der Benutzerfreundlichkeit des Portals zu tun haben. Hier ein „waaaaaahnsinnig gut!“ in den elektronischen Äther geblasen, da ein „zauberhaft!“, dort irgendwelche „wonderful voices“ gepriesen, nichts leichter und unverbindlicher. Das macht sicher Spaß, auch mag es nicht unwichtig sein, hin und wieder ein virtuelles Lebenszeichen von sich zu geben. Mit einem Diskurs über Musik aber darf man das nicht verwechseln.

Die sybillinische Lösung lautete gewiss: friedliche Koexistenz. Warum sollen die einen nicht weiterhin Programmhefte auswendig lernen und fünfstündige konzertante Opern absitzen, während die anderen sich auf Youtube verlustieren? Ganz einfach: Weil Institutionen heutzutage eine Strategie haben müssen. Und weil Strategien Kräfte binden, Energien, die an anderen Stellen notgedrungen fehlen. Die Entscheidung der Berliner Philharmoniker für Martin Hoffmann als Intendant war eine solche strategische Entscheidung: für einen Mann des Marketings, der sich – im Gegensatz zu seinen Vorgängern Franz Xaver Ohnesorg und Pamela Rosenberg – in künstlerische Belange nicht einmischt. Dass Hoffmann jetzt tut, wofür man ihn geholt hat, kann man ihm nun wirklich nicht vorwerfen.

Aber ein bisschen Angst sei gestattet: vor der weiteren offensiven Entwicklung der Marke BPhil. Vor dem weiteren Verlust der Bodenhaftung. Und davor, dass die Affen, denen man zu viel Zucker gibt, plötzlich Lust auf etwas Herzhaftes kriegen. Und dass wir bis dahin vergessen haben, was das sein könnte.

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