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Kultur: Chefsache Buch

Auf dem Podium lauter bekennende Kulturgut-Lobbyisten, prominent und kampfeslustig.Einsam unter ihnen ein Schurke im Dienste des freien Marktes, der allerdings gelegentlich überläuft.

Auf dem Podium lauter bekennende Kulturgut-Lobbyisten, prominent und kampfeslustig.Einsam unter ihnen ein Schurke im Dienste des freien Marktes, der allerdings gelegentlich überläuft.Ein geistreicher Begrüßungsredner (Akademiepräsident György Konrád), ein launiger Moderator (Anwalt Peter Raue).Die Buchpreisbindung, schließlich, ein Thema, für das zu kämpfen es sich ...Halt! Hier hätte es interessant werden können.Die ketzerische Frage jedoch, ob es sich angesichts bald grenzenlosen Internethandels und verlegerischer Fusionsphantasien überhaupt lohne, für einen Fortbestand jener Vereinbarung zu kämpfen, mit der sich die Buchbranche in Deutschland und Österreich dem gebundenen Ladenpreis verpflichtet hat, diese vom Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung", Johannes Willms, aufgeworfene Frage wird leider nur gestreift, an diesem Abend in Berlins Akademie der Künste.Taktvollerweise nicht gefragt wird auch, ob die Bedrohung des gebundenen Ladenpreises wirklich ein Angriff gegen das "Menschenrecht auf Kultur" darstelle, wie es die Einladung der Berliner Anwaltskammer und des Berliner Verleger- und Buchhändlerverbands nahelegte.Daß die Zuhörer dennoch so etwas wie eine heitere Erkenntnis mit nach Hause nahmen, ist keine Selbstverständlichkeit bei solchen Veranstaltungen - und hat gewiß auch damit zu tun, daß der Moderator die Diskussion nicht, wie sonst üblich, für Co-Referate aus dem Publikum öffnet.Eine vorbildlich-richtungsweisende Maßnahme jedenfalls in Sachen Debattenkultur!

Daß es aber gegen Ende der Aussprache interessant, bisweilen fast spannend wird, obwohl kein einziges neues Argument in der Sache gefallen war, ist Deutschlands ranghöchstem und agilstem Kulturgut-Lobbyisten, dem dieser Tage schier omnipräsenten Michael Naumann, zu danken.In der Doppelrolle als Politiker und Ex-Verleger überzeugend, gelingt es ihm, dem geballten kämpferischen Frust der Verleger Siegfried Unseld (Suhrkamp), Dietrich Simon (Volk und Welt), der Buchhändlerin Ruth Klinkenberg (Marga Schoeller, Berlin) und des Autors Friedrich Dieckmann sowie den fatalistischen Einlassungen des Teilzeit-Schurken Willms einige Einblicke in den tagespolitischen Macht-Apparat entgegenzusetzen.

Der Bundeskanzler, weiß Naumann beispielsweise zu berichten, habe die Buchpreisbindung, mit Blick auf die deutsche EURatspräsidentschaft, zur Chefsache gemacht.Er selbst habe in Brüssel bereits machtvolle Gegenspieler des Vollzeit-Schurken und EU-Kommissars Karel van Miert sowie der ihm zuarbeitenden "Free-Market-Piraten" kontaktiert.Schließlich sei es gelungen, gemeinsam mit der "patenten Kollegin" Trautmann aus Frankreich, in das Kommuniqué des jüngsten deutsch-französischen Gipfels den Kampf um die Preisbindung mit Priorität zu plazieren.Was insofern von Bedeutung sei, weil solche Dokumente in Brüssel gelesen würden.Zu der Lektüre der "mächtigen alten Männer" (Naumann) von Brüssel gehören wohl auch die Feuilletons maßgeblicher Tageszeitungen, deren Unterstützung in Sachen Buchpreisbindung der designierte Staatsminister mit Nachdruck anmahnt.

Einigermaßen gekränkt zeigt sich Naumanns Politiker-Verlegerseele auch von Siegfried Unselds zu allem Überfluß in einem bedeutenden Zeitungskulturteil erhobenen und in der Runde beinahe bedauerten Vorwurf, die Bundesregierung beteilige sich an der Vernichtung von Literatur.Der Suhrkamp-Verleger erneuert dennoch seine in der "FAZ" artikulierte Befürchtung, daß die unter der poetischen Formel "Teilwertabschreibungsverbot" bekannt gewordene Absicht der Regierung, Lagerbestände in Zukunft voll zu besteuern, die eigentliche Attacke auf den freien Buchmarkt sei.Jetzt schlüpft auch Willms kurzzeitig wieder in die ihm zugedachte Rolle und hält Naumann vor, durch die Attacken Richtung Brüssel nur von den eigenen steuerpolitischen Grausamkeiten abzulenken.Da umgibt sich Schröders Mann für Kultur mit vielsagender Verschwiegenheit, nur soviel: "In dieser Form wird das nicht durchs Parlament gehen." Der realpolitische Flügel in Naumann weiß auch warum: Die lagerintensive Bekleidungsindustrie, die von einer solchen Regelung ebenfalls in ihrer Existenz bedroht wäre, werde dies vermutlich mit ihren weit einflußreicheren Lobbyisten verhindern.Da hellen sich die bedenkentragenden Gesichter der Kulturgutbewahrer auch im Saal plötzlich wieder auf.Es scheint, als keime in ihnen die Hoffnung, es ließe sich der schier uneinholbare Vorsprung der Modemacher dank Chef-Lobbyist Naumann bald aufholen; und mancher wird die Akademie verlassen haben, beseelt von einer Bestseller-verdächtigen Vision

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft scheitert an dem Streit um die Buchpreisbindung.Gerhard Schröder tritt zurück und wird Präsident des Goethe-Instituts.Martin Walser wird mißverstanden, als er sich für die Eingemeindung Österreichs ausspricht, um das Problem aus der Welt zu schaffen.Deutschlands Boutiquenbesitzer werden als Retter des gedruckten Wortes gefeiert.Die Berliner Anwaltskammer verleiht die erste Unseld-Lagerfeld-Medaille für verdiente Kämpfer um das Menschenrecht Kultur an den früheren Buchhändler Joschka Fischer.Die Laudatoren sind Vivienne Westwood und Friedrich Schorlemmer.Das Drehbuch, verlegt bei Rowohlt Berlin, wird zum Million-Seller.Mit festem Ladenpreis, versteht sich.

MORITZ MÜLLER-WIRTH

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