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Kultur: China-Bücher: Global von innen - Manager und Mönche

Was kommt uns chinesisch vor? Alles, was wir nicht verstehen.

Von Caroline Fetscher

Was kommt uns chinesisch vor? Alles, was wir nicht verstehen. "China" ist das Paradigma des Anderen, es ist "fremder als fremd", von Schrift bis Gesicht. Es ist fern. Selbst Australien scheint uns näher. Kann es eine Milliarde Menschen in der globalisierten Welt geben, von denen wir vor allem das Junk Food der "China-Restaurants" kennen, gelegentliche Berichte über Dissidenten und vielleicht ein, zwei preisgekrönte Filme?

Drei Autoren, zwei Bücher, und man ist China einen Schritt näher. Chikako Yamamoto und Georg Blume haben gemeinsam Provinzen besucht, eine nach der anderen. Sie bereisten Dörfer und Felder, und Städte mit über zehn Millionen Einwohnern, chinesische Metropolen, von denen man hierzulande nie hört. Zwischen Reishängen und Bürotürmen fügen sie die Horizont des Riesenlandes zusammen, sie besuchen Jungmanager und alternde Rockstars, antiquierte Dorfkomitees, und gelangen über die Gebirge bis zu Tibets Mönchen.

Im Land der Kulturrevolution hat die Marktwirtschaft eine neue Revolution entfesselt, die staunen lässt über das Nebeneinander von Bauern und Unternehmern, Einheitspartei und Kapitalismus. Blume und Yamamoto spannen einen weiten, hellen Bogen, der Chinas Gegenwart aufleuchten lässt, auch weil die Autoren, wo notwendig, auf die Vergangenheit weisen.

Jan-Philipp Sentker, ebenfalls langjähriger Asien-Korrespondent, ist als Portraitist auf der Suche nach den "Rissen in der Großen Mauer". Wo es kaum möglich ist, ohne kontrollierenden "Schutz" auf Recherchereise zu gehen, gelangen Sentker seltene Portraits von Chinesen, die uns nicht chinesisch vorkommen. Manche wirken wie Freaks, denn es sind allesamt Individualisten, die soziale Vorhut eines neuen China. "Wir sind wie Küken, die gerade aus dem Ei schlüpfen", sagt der Umweltschützer Xang Xin über seine Gruppe, die vergebens vor der verheerenden Überschwemmung des Jangtse gewarnt hatte, dessen Uferwälder einem Kahlschlag wichen. 1998 waren über 200 Millionen Menschen von der Flut betroffen. "Greenpeace" und China? Eine ungewohnte Liaison. Ebenso ungewohnt die Psychotherapeutin, die 1989 in Shanghai eine Studentenseelsorge einrichtete.

Oder der Homosexuelle Wu Meng, der "endlich ehrlich" sein will, und vom Ministerium immer noch als "Patient" eingestuft wird, aber im Internet Kontakte findet. Nach einem American Dream klingt die Geschichte, von Xiao Ming, der Ende zwanzig vom Stahlarbeiter zum Stahlhändler wurde, und heute einen Merzedes 600 fährt. Ein Mann, der seinen Arbeitern mehr abverlangt als ein Staatsbetrieb - und mehr zahlt.

Beide Bücher illustrieren eindrücklich den Verlust von Staat, die Brüchigkeit des chinesischen Systems, die Chancen und Gefahren der rapiden und nicht zu bremsenden Modernisierung in einem Land, das gleichsam von innen her global wird. Und uns am Ende der Lektüre weniger chinesisch vorkommt.

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