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CHINA Kracher (3): Geheimnisse des Ehelebens

Noch 25 Tage bis Olympia. Müh Ling trainiert heute: Entschuldigen.

Bis Ende der 1920er Jahre hing am Eingang des Huangpu-Parks im britisch kolonisierten Shanghai ein Schild, das Hunden und Chinesen den Zutritt untersagte – in dieser Reihenfolge.

Ein knappes Jahrhundert später. Im Pekinger Zhongshan-Park steht inmitten einer Menschenmenge ein älterer Chinese mit Hund. Er ist wütend. Die Umstehenden versuchen, den Mann zu beschwichtigen. Es nützt nichts, er lässt seinem Zorn freien Lauf. „Ausländer“, schreit er, „haben in chinesischen Parks nichts zu suchen!“

Zwei Gruselgeschichten, die nichts verbindet – außer geschichtlicher Grusel.

Vorausgegangen ist dem Wutanfall des Mannes eine Recherche im Zhongshan-Park, wo sich zweimal in der Woche chinesische Eltern treffen, um ihre unverheirateten Kinder unter die Haube zu bringen. Die Recherche verläuft erstaunlich unkompliziert, die Eltern geben bereitwillig Auskunft, etwa 30 Männer und Frauen drängeln sich förmlich um den deutschen Journalisten, seinen chinesischen Übersetzer und dessen deutsche Ehefrau. Jeder will einen Kommentar abgeben, viele stellen ihrerseits neugierige Fragen: wo man denn herkomme, ob das Leben dort sehr anders sei, ob man zu Hause eine Frau habe oder nicht vielleicht hier eine nette Chinesin kennenlernen wolle. Besonders interessiert die Menschen, wie denn eine Ehe zwischen einem Chinesen und einer Ausländerin funktioniert, viele fragen den Übersetzer, ob er das weiterempfehlen könne.

Bis plötzlich ein älterer Mann, der zuvor schweigend seinen Hund an der Leine gehalten hat, vor sich hin zu murren beginnt, leise zunächst und ohne jemanden anzusehen, dann immer lauter und lauter. Von „Geheimnissen“ spricht er, über die man mit Ausländern nicht reden solle, weil man nicht wisse, was die Fremden damit anfangen. Trotz aller Beschwichtigungsversuche redet sich der Mann in Rage, sein Zorn richtet sich besonders gegen den chinesischen Übersetzer, dem er immer wieder mit dem Finger droht: Was ihm einfalle, chinesische Geheimnisse zu verraten! Bestraft gehöre er dafür, dass er eine Fremde geheiratet habe! Den meisten Umstehenden ist der Vorfall sichtlich unangenehm, bittend bedeuten sie den Ausländern, weiterzugehen und das Gezeter nicht zu beachten.

Später kommen mehrere Menschen aus der Gruppe den Ausländern im Park hinterhergelaufen, um sich aufgewühlt für den Vorfall zu entschuldigen. Man solle nichts darauf geben, sagen sie, sie selbst fänden es gut und richtig, dass man mit Ausländern heute über alles reden könne, eigentlich gefalle das allen Chinesen, der Mann sei eine Ausnahme, man schäme sich sehr für ihn.

Hat sich Europa jemals für das Schild am Huangpu-Park entschuldigt?

Müh Ling

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