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CHINA Kracher (5): T wie Tibet

Noch 18 Tage bis Olympia: Müh-Ling trainiert heute: Propaganda

Wenn Sie mal erleben wollen, wie ein ansonsten liebenswerter Chinese Gift und Galle spuckt, erwähnen Sie einfach das T-Wort. Leises Flüstern reicht: „Tibet“. Fast jeder Chinese wird sofort in die Defensive gehen, lauthals die Errungenschaften der chinesischen Tibet-Politik preisen, den Dalai Lama einen CIA-Agenten schelten und dem Westler ein völlig verzerrtes Tibet-Bild vorwerfen – noch bevor sich der Westler überhaupt zum Thema positioniert hat.

Wenn Sie gleichzeitig mal erleben wollen, wie sich ansonsten vernünftige Deutsche in kitschbekiffte Ethno-Fundamentalisten verwandeln, erwähnen Sie ebenfalls einfach das T-Wort. Funktioniert auch ziemlich zuverlässig. Ein chinesischer Bekannter erzählte mir neulich, er sei in Deutschland mehrfach von bunt gekleideten, ihm gänzlich unbekannten Menschen als Repräsentant eines völkermordenden Regimes beschimpft worden – noch bevor er sich zu Tibet überhaupt geäußert hätte.

Im Pekinger Kulturpalast der Nationalitäten wird derzeit eine große Tibet-Ausstellung gezeigt. Sie ist in zwei Teile gegliedert: das „alte“ und das „neue“ Tibet, vor und nach der kommunistischen Angliederung. Das alte Tibet ist eine feudale Sklavenhaltergesellschaft, deren gottesstaatliche Herrscherclique politischen Gefangenen die Haut abziehen lässt. Das neue Tibet ist eine blühende Region Chinas, deren Bewohner „in Erwartung einer noch besseren Zukunft singen und tanzen“, wie es unter einem Foto folkloristisch gewandeter Bauern heißt.

Verblüffend ist die durchweg defensive Haltung der Propaganda-Schau. Jedes Exponat wirkt hier wie eine trotzige Anfechtung des Tibet-Bildes, wie es seit den Ausschreitungen im März dieses Jahres im Westen kursiert. Manches Gezeigte hätte sogar das Potenzial zum klärenden Dialog – wenn es nicht so unsäglich ideologisch präsentiert wäre.

Andererseits: Deutschlands Hobby-Tibeter romantisieren die vorkommunistische Feudal-Epoche und verdrehen Chinas unabweisbare Modernisierungsleistungen zum „kulturellen Völkermord“. Auch das ist Geschichtsklitterung. Man muss sich nur mal den deutschsprachigen Tibet-Eintrag bei Wikipedia und die zugehörige Editionsgeschichte ansehen. Da räumt eine selbst ernannte Gesinnungspolizei gnadenlos mit Abweichlern auf.

Beim Verlassen des Kulturpalasts spricht mich ein älterer Chinese auf Englisch an. „Wie fanden Sie die Ausstellung?“, fragt er. Ich zögere. „Etwas parteiisch“, sage ich. „Da haben Sie recht“, antwortet er lächelnd, „aber nicht ganz so parteiisch wie der westliche Blick auf Tibet, oder?“ Wieder zögere ich. „Doch“, sage ich dann, „noch parteiischer“. Der Mann nickt. „Sie haben das Recht auf Ihre eigene Meinung.“ Dann lässt er mich stehen.

Man muss den Chinesen lassen, dass sie unsere Vorurteile besser kennen als wir die ihren.

Bisher trainierte Müh-Ling: Zählen (7. 7), Maoismus (12. 7), Entschuldigungen (14. 7.), den Magen (16. 7.). Als Nächstes: Radfahren

Müh-Ling

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