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© CNIMAGING/MAXPPP

China: Mit Gerd und Goethe

Industrie? Kultur? Industriekultur? Deutschland präsentiert sich in China als Land der Nachhaltigkeit. Ein Besuch in Wuhan.

Sie läuft immer noch gut, die Gerd-Show. Man muss nur weit genug reisen, und die Welt ist für den Ex-Bundeskanzler der dahingeschmolzenen Volkspartei SPD wieder in Ordnung. Ein paar tausend Chinesen jubeln und schwenken rote Fahnen, als Gerhard Schröder mit seinem Haifischlächeln die Bühne betritt. In Wuhan, am Jangtse-Fluss, eröffnet er die letzte Station der Veranstaltungsreihe „Deutschland und China – gemeinsam in Bewegung“. Deutschlands Energiespender wird wie ein Popstar empfangen.

Schröder gratuliert den Chinesen zum 60. Staatsgeburtstag, lobt die Beziehungen beider Länder und erinnert daran, dass er bei seinem Staatsbesuch 2004 in Peking dieses langfristige deutsche Projekt für China angestoßen hat. Tian Chengzhon, Vizegouverneur der Provinz Hubei, deren Hauptstadt Wuhan ist, dankt dem Gast mit einem poetischen Bild: „Möge die deutsch-chinesische Freundschaft Welle für Welle in die Zukunft fließen, wie der Jangtse.“

Neun Millionen Einwohner, Stahl- und Automobilindustrie, Textil- und Zementfabriken, über dreißig Universitäten und Hochschulen: Das Wort Provinz will nicht recht passen. Dabei gehört Wuhan, zwei Flugstunden südlich von Peking, zu den Nachzüglern des chinesischen Booms. Die Stadt erstickt im Verkehr, eine U-Bahn ist geplant und bald in Betrieb, so wie die Dinge hier laufen. Die Bauten der Kolonialzeit, als die europäischen Mächte hier Handelskonzessionen unterhielten, verfallen und werden von Betonriesen erdrückt. Es war in Wuhan, wo sich Mao 1956 in die Fluten des Jangtse stürzte und seine berühmte propagandistische Schwimmtour absolvierte. Bei der verheerenden Umweltverschmutzung wäre das heute ein selbstmörderischer Akt.

Nanjing, Chongqing, Kanton, Shenyang und nun, Ende Oktober, die Woche von Wuhan, wo die bisher größte deutsche Veranstaltung im Ausland überhaupt zu Ende ging. Die Deutschen und ihr Goethe-Institut sind mit einer Mission unterwegs. In den Pavillons auf der Flusspromenade präsentierte sich das Exportland als sanfter Industrieriese. Grüne Technologien versprechen in China, das begonnen hat, die katastrophale Wirkung seiner Modernisierung einzudämmen, ein gigantisches Geschäft. Gerhard Schröder sprach zum Auftakt einer Konferenz zur „Nachhaltigen Entwicklung“.

Es geht, Rahmenprogramm und Kulturaustausch hin oder her, um Marktanteile, um deutsche Arbeitsplätze, so innovativ und putzig die Hütten auch wirken mögen, die der Architekt Markus Heinsdorff für den deutschen Themenpark aus Hightechfolie und Bambusstangen errichtet hat. Bambus für China, das ist allerdings nicht ohne Ironie.

Grünland Bundesrepublik. Wir leben anscheinend in einem Paradies des ökologischen Fortschritts. Die BASF stellte ein energiesparendes „Drei-Liter-Haus“ vor, bei Daimler stand ein Batterie-Auto, die Deutsche Bank wirbt mit dem Slogan „Banking on Green“, selbst der Logistik-Konzern DHL will seine Fahrzeuge und Flugzeuge gegen die globale Erwärmung einsetzen. Im Pavillon der Firma Herrenknecht manifestiert sich deutscher Ingenieursstolz ungebrochen. Die Schwaben vertreiben, führend auf dem Weltmarkt, kolossale Bohrsysteme für den Tiefbau. Zwei 7,5 Kilometer lange Tunnelröhren unter dem Jangtse sollen bis zur Eröffnung der World Expo Schanghai im Mai 2010 fertiggestellt sein. „Wer mit uns bohrt, kommt weiter“, lautet das Motto. Die Chinesen standen Schlange, um sich mit Schwarzwaldmädels und Kuckucksuhren fotografieren zu lassen.

Paulaner, Bratwurst, Kraut und Brezel im Biergarten am Jangtse. Klischees im Dienst der Völkerverständigung. Die Ausstellung „Deutschland für Anfänger“ wollte niemanden überfordern und doch schlau sein. Ein typisch deutsches Produkt: Man gibt sich bescheiden und zugleich selbstbewusst, das geht nicht ohne Verklemmung ab. Von A bis Z zeigten die Stellwände und Vitrinen nationale Güter und Werte, also C wie Currywurst, F wie Fußball, K wie Kindergarten und V wie Verein. Und natürlich G wie Goethe. Unter S wie Sitte fand sich der bemerkenswerte Satz: „Die Sitten der Deutschen zu verstehen ist schwer, besonders wenn sie zur Unsitte werden“, zum Beispiel Liegestühle durch Handtücher zu besetzen. Beim Buchstaben A (Arbeit) konnte man etwas über Arbeitslosigkeit in Deutschland und Hartz IV erfahren – für ein Land wie China mit seinen Millionen mittelloser Wanderarbeiter eine bizarre Information.

Nicht weniger fremdartig für chinesische Verhältnisse erscheint auf den ersten Blick das Anliegen, das im Forum „Stadt und Theater“ verfolgt wurde; eine der zahlreichen universitär-kulturellen Veranstaltungen, die es in Wuhan auch gab. Der Poly-Konzern (Öl, Kohle, Immobilien und Entertainment) hatte Theaterleute wie Brigitte Führle von den Berliner Festspielen, Jochen Sandig vom Berliner Radialsystem und Frank Baumbauer, den früheren Intendanten der Münchner Kammerspiele, zu einer Konferenz mit chinesischen Kulturmanagern eingeladen. Poly setzt riesige Theater- und Konzertsäle in die unwirtlichen chinesischen Stadtlandschaften, es fehlt an allem, was nach europäischen Begriffen Theaterkultur ausmacht – Repertoire, Publikumsbindung, Infrastruktur. Die Gespräche können nur ein erster Austauschversuch gewesen sein, wenn diese Hallen keine reinen Spekulations- und Repräsentationsobjekte bleiben sollen. Man muss nicht allzu optimistisch sein. Die Einzigartigkeit des deutschen Stadt- und Staatstheatersystems und der bundesrepublikanischen Kulturförderung überhaupt gilt auch in den USA als exotisch.

So viel Expertise wie möglich, aber auch so populär, wie es eben nur geht: ein Programm von wahrhaft deutscher Gründlichkeit. Nachhaltigkeit klingt natürlich besser. Auf jeder der fünf Stationen dieser gewöhnungsbedürftigen Deutschlandschau wurden mehrere hunderttausend Besucher gezählt. Offensichtlich ist das Konzept bei den Chinesen angekommen, vor allem die allabendlichen Gratis-Konzerte deutscher Rockbands auf der Promenade. Träger der gewaltigen Tournee, die seit Herbst 2007 lief, war das Auswärtige Amt, die Ausführung lag beim Goethe-Institut, das sich hier auf glitschiges Neuland weit hinaus gewagt hat. Goethe als Promoter für deutsche Industrie? Michael Kahn-Ackermann, Leiter des Goethe-Instituts Peking und Planungschef für „Deutschland und China – gemeinsam in Bewegung“, holt mächtig aus, um die Idee einer zeitgemäßen Kulturarbeit im Ausland zu erklären.

Von der traditionellen Übung eines Kulturjahres in den Metropolen hält er nicht viel. Reine Gastspielreihen hätten sich überholt. Einer nationalen Selbstdarstellung, die Wirtschaft und Wissenschaft, Kultur und Bildung umfasst, gehöre die Zukunft. Kahn-Ackermann propagiert, zumal für China, einen – nicht ohne Strapazen – erweiterten Kulturbegriff. Im Übrigen sei es ja so: Die chinesische Seite glaubt nicht mehr, dass der Westen alles besser weiß und besser versteht, aber sie hört zu und greift sich heraus, was sie brauchen kann.

Eine realistische Einschätzung. Und ein Weg, der für den Westen das Risiko birgt, eines Tages einfach abgehängt zu werden. In der „South China Post“ war vor wenigen Tagen zu lesen, dass sich eine chinesische Firma gute Chancen ausrechnet, zwischen Kalifornien und Las Vegas eine Hochgeschwindigkeits-Zugverbindung zu bauen. „Lange Zeit als Produzent von Billigware belächelt, will sich China nun als Hersteller von Zügen, Flugzeugen und Autos etablieren (...) China muss 800 Millionen T-Shirts nach Europa exportieren, um einen Airbus 380 von dort zu importieren.“

Der Markt bestimmt den Dialog. Wandel durch Handel, das ist allerdings gute alte sozialdemokratische Ostpolitik. Man muss da eine konfuzianische Geduld aufbringen. Was hat die Frankfurter Buchmesse mit dem Gastland China gebracht? Werden jetzt mehr chinesische Bücher in Deutschland gelesen? Ist man bei den Menschenrechten weitergekommen?

Der Handel hat es leichter, gesellschaftliche Differenzen spielen da kaum eine Rolle, und Kultur stört im Zweifel nicht weiter. Das ist das Dilemma: Es ist nichts gewonnen, sondern auf lange Sicht viel verloren, wenn man auf kulturelle Begegnung, wie mühsam sie auch sein mag, verzichtet. Die Größe des Landes wirkt wie ein Magnet. „Wir können uns nicht mehr den Luxus leisten, nicht mit China auszukommen“, sagte kürzlich John Podesta, Chef eines dem Weißen Haus nahe stehenden Thinktanks. Olympische Spiele in Peking, Buchmesse, demnächst die Expo in Schanghai: Chinawellen kommen und gehen. Nein, China ist da.

Rüdiger Schaper

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