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Alles Backstein. Offene Rundhalle im Museum Suzhou von Liu Jiakun.

©  Katalog

Chinesische Architektur-Ausstellung: Hongkongs Megakulturbezirk und die weltweit kleinste Gedenkstätte

Das Aedes Forum am Pfefferberg zeigt gegenwärtige chinesische Architektur. Als hiesiger Besucher kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Noch immer wissen wir viel zu wenig über das Bauen in China. Nicht nur die Namen der Architekten sind kaum geläufig, auch die Orte, die Millionenstädte des Riesenreichs, sind aus keinem Schulunterricht erinnerlich. Zumindest eine der beiden Ausstellungen bei Aedes am Pfefferberg jedoch kann mit einem bekannten Namen aufwarten: Hongkong. Dort geht es um den „Kulturbezirk West-Kowloon“, den westlichen Zipfel des Festlandsteils von Hongkong. Die andere Ausstellung handelt von Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sechuan.

In Chengdu arbeitet Liu Jiakun, der 1999 ein eigenes Büro gründete und seither überwiegend in der Provinzkapitale tätig ist. Er hat seine intellektuellen Wurzeln in einem Kreis von Gleichgesinnten der neunziger Jahre; Liu selbst tendierte zur Literatur. In der Auseinandersetzung mit der internationalen Moderne fand er schließlich zu lokalen Materialien und Bauweisen, die den seinerzeit noch rückständigen Charakter der chinesischen Bautätigkeit widerspiegelten.

Die weltweit kleinste Gedenkstätte

Ein einschneidendes Ereignis war das große Erdbeben von 2008. Danach entwickelte Liu Verfahren, um den Bauschutt der zerstörten Gebäude zu recyclen und mit lokalen Zuschlagstoffen wie Stroh zu neuen Ziegeln zu verarbeiten. Mit dem „Gedenkhaus für Hu Huishan“, eine beim Erdbeben umgekommene 15-jährige Schülerin, schuf Liu Jiakun ein nur 15 Quadratmeter großes Satteldachhäuschen, das in der mit zahlreichen Modellen aufwartenden Ausstellung bei Aedes als „weltweit kleinste Gedenkstätte“ bezeichnet wird – eine bewegende Geste.

Liu Jiakun hat, wie viele zeitgenössische Architekten seines Landes, eine ganze Reihe von Kulturbauten errichten können. Dabei orientiert er sich an ortstypischen, „vernakulären“ Formen, wie an Industriehallen beim Shuijingfang Museum. Eindrucksvoll ist das „Museum der Kaiserlichen Brennöfen“ in Suzhou (Suchou), der traditionsreichen, heutigen 10-Millionen-Stadt unweit von Schanghai, auch dies ein Ziegelbau in Verbindung mit einem Tragwerk aus Beton. Seine eigenen Ziegel, die Liu Jiakun bereits 2008 bei der Architekturbiennale von Venedig vorgestellt hat, kamen insbesondere bei Wiederaufbauprojekten nach dem Erdbeben zum Einsatz.

Da wird selbst Berliner Gemütern schwindelig

Was den bewussten Einsatz von Ziegeln in traditioneller Form- und Farbgebung anbetrifft, denkt man sofort an Wang Shu mit seinem „Amateur Architecture Studio“, der 2008 mit aus Abrisshäusern geborgenen Ziegeln das berühmte Historische Museum von Ningbo errichtet hat. Wang Shu ist im Westen als Hauptvertreter einer an herkömmlicher chinesischer Baukunst orientierten, dabei eigenständigen Regionalarchitektur bekannt geworden; übrigens auch durch Auftritte in Venedig. Über seine Arbeit ist unlängst eine Monografie im renommierten Schweizer Verlag Lars Müller erschienen; die zugrunde liegende Ausstellung im Louisiana Museum nahe Kopenhagen erreicht Berlin leider nicht.

Ganz anders ist, was in Hongkong geschieht. Der Kulturbezirk von West-Kowloon ist ein Megaprojekt mit mehreren Museen, Musik- und Sprechtheatern auf 40 Hektar künstlicher Aufschüttung in ehemaligem Hafengebiet. Die Dimensionen und die technischen Feinheiten sind jedenfalls für Berliner Gemüter schwindelerregend. So verläuft ein vielspuriger Autotunnel unter dem Gelände hindurch hinüber auf die Insel Hongkong, an dessen Einfahrt sich der 484 Meter hohe Turm des Internationalen Handelszentrums erhebt, der wiederum auf einer U-Bahn-Station steht. Für den Kulturbezirk werden klingende Architektennamen verpflichtet. Herzog + de Meuron bauen das Kunstzentrum M+ mit mehr als 65 000 Quadratmetern Nutzfläche, teils in einem 15-stöckigen Scheibenhaus gestapelt; UNStudio aus Amsterdam das Lyrische Theater nach europäischer Anordnung, Bing Thom Architects aus dem kanadischen Vancouver das Xiqu Centre für die traditionelle kantonesische Oper.

Ein Bau aus 10 000 Bambusstäben

Sogar ein Ableger des Palastmuseums aus Peking ist geplant, für den die Lokalmatadoren Rocco Design Architects einen Entwurf eingereicht, aber noch keinen Zuschlag erhalten haben. Als Zugabe für die locals wird alljährlich ein temporärer Bambus-Theaterbau errichtet: So entwarf William Lim 2013 einen Bau aus 10 000 Bambusstäben für 800 Zuschauer unter dreigestuftem Pagodendach.

Was das Gesamtprojekt kosten soll und wie es finanziert wird, verrät die Ausstellung bei Aedes ebenso wenig wie der Katalog. Der teilt zumindest mit, dass es sich beim Kulturbezirk um „ein strategisches Investment der Regierung der Sonderverwaltungszone Hong Kong“ handele. Am südlichen Rand eines Riesenreiches gelegen, das in den vergangenen Jahren Tausende von Museen, Theatern und Opernhäusern errichtet hat, muss sich Hongkong nun auch kulturell auf der Höhe zeigen. Wie gesagt: Als hiesiger Besucher kommt man aus dem Staunen nicht heraus.

Aedes Architecture Forum, Christinenstr. 18/19 (Pfefferberg), bis 31. August. Kataloge je 10 €. www.aedes-arc.de - Wang Shu Amateur Architecture Studio, Lars Müller Publishers, Baden (Schweiz). 45 €.

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