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Ai Weiwei ist frei.

© Reuters

Chinesische Regierung: Ai Weiwei darf Peking nicht verlassen

Über zwei Monate war Chinas prominentester Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei eingesperrt. Jetzt ist er frei – und auch wieder nicht.

Es ist vielleicht nur ein Aufatmen in der stickigen Dunkelzone der chinesischen Kulturpolitik, aber es ist ein Aufatmen: Der Künstler und Bürgerrechtler Ai Weiwei ist frei. Gegen Kaution. Frei bewegen darf er sich dennoch nicht. Das chinesische Außenministerium korrigierte zwar inzwischen seine eigene englische Übersetzung der Äußerungen des Außenministeriums, nach der Ai Weiwei sein Haus nicht verlassen dürfe. Nun hieß es, der Künstler dürfe sich nur innerhalb der Stadt Peking bewegen, wie die Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag meldete.

Am Mittwochnachmittag hatte die Nachrichtenagentur Xinhua gemeldet, die Behörden hätten ihn auf freien Fuß gesetzt, weil er ein Geständnis wegen Steuerhinterziehung abgelegt habe und weil er chronisch krank sei. Er habe seine „Vergehen zugegeben“ und damit eine „gute Haltung“ bewiesen.

Wie viel Geständnisse von kranken Häftlingen wert sind, die in einem Nichtrechtsstaat wochenlang an unbekanntem Ort festgehalten werden, kann man sich ausmalen. Immerhin ist mit der Freilassung Ai Weiweis eine monatelange Phase quälender Ungewissheit zu Ende. Nach seiner Festnahme am 3. April auf dem Pekinger Flughafen und einer totalen Informationssperre war wochenlang sogar mit dem Schlimmsten zu rechnen gewesen. Erst der kurze Besuch seiner Ehefrau Lu Qing am 15. Mai offenbar in einem „ Gästehaus der Polizei“ brachte die Gewissheit, dass Ai Weiwei zumindest mit Medikamenten angemessen versorgt wurde und nicht misshandelt worden war.

Am Mittwoch bestätigte seine Schwester Gao Ge gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, Ai Weiwei sei in seine Wohnung zurückgekehrt und in gutem Allgemeinzustand. Sie habe mit Ais Frau gesprochen und diese habe gesagt, sein Gesundheitszustand sei „okay, er ist nur etwas dünner als vorher“.

Erleichterung unter Vorbehalten diktierte gestern die ersten Reaktionen in Deutschland. Außenminister Guido Westerwelle begrüßte die Freilassung, „auch wenn die berichteten Umstände der Freilassung gegen Kaution bedrückend bleiben“. Ähnlich äußerten sich der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann und Tilmann Spengler, dem im April selbst die Einreise nach China verweigert worden war. Spengler fügte sogleich hinzu, man dürfe die anderen Gefangenen nicht vergessen, allen voran Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Und Ai Weiweis Berliner Verleger Wolfgang Hörner, der im Galiani Verlag die von der chinesischen Zensur aus dem Internet gelöschten Blog-Texte Ai Weiweis herausgibt, betont voll Sorge, der Vorwurf der Wirtschaftsverbrechen sei „oft ein Weg, Regimekritiker ins Gefängnis zu bringen oder sie zu ruinieren“. Die Familie hatte den gegen Ai Weiwei erhobenen Vorwurf des Steuerbetrugs stets zurückgewiesen.

Die Inhaftierung des prominentesten der regimekritischen Künstler Chinas vor zweieinhalb Monaten war der bisherige dramatische Höhepunkt seines in vielen Kunstaktionen und Stellungnahmen geführten Kampfs um politische Freiheit. Anfang April stand sie zudem in unmittelbarer zeitlicher Korrelation zur Eröffnung der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ der drei Staatlichen Museen von Berlin, Dresden und München im Nationalmuseum in Peking. Kurz zuvor noch hatte Ai Weiwei kritisiert, dass die deutschen Institutionen ihre Schau ausgerechnet auf dem Tiananmen-Platz präsentierten, wo die Freiheitsbewegung der Chinesen 1989 gewaltsam niedergeknüppelt worden war. Tags darauf wurde er dann festgenommen, während das Flugzeug der abreisenden deutschen Delegation noch auf dem Rollfeld stand.

Der Protest gegen die Gefangennahme des Regimekritikers erhob sich sofort – und weltweit. Internationale Künstler und Politiker machten sich für Ai Weiwei stark, und mehr als 100 000 Menschen unterzeichneten eine Petition, die vom New Yorker Guggenheim Museum initiiert worden war. Erst dieser Tage hatte auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann noch von neuem darauf gedrängt, die „Politik der Nadelstiche“ gegen die chinesische Führung fortzusetzen.

Vielleicht hat diese Politik nun zu einem Teilerfolg geführt. Vielleicht beweist die Freilassung aber auch nur die Gewissheit der chinesischen Behörden, Ai Weiwei mit formaljuristischer Handhabe jederzeit wieder einsperren zu können. Noch vor einem Monat hatte die chinesische Führung ihren Vorwurf der Wirtschaftsverbrechen in Richtung Steuerbetrug konkretisiert. Die Agentur Xinhua berichtete, Ai Weiweis Firma Fake Cultural Development habe eine „riesige Summe“ an Steuern hinterzogen.

Bei den politischen Spitzen in Deutschland dürfte die Freilassungsnachricht – als ein akutes Problem weniger auf der Agenda – besonders willkommen sein, wird doch der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao am kommenden Montag samt großer Delegation von der Bundesregierung erwartet. Für denselben Tag hat Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller eine Protestaktion im Berliner Literaturhaus angekündigt. Gemeinsam mit anderen Autoren will sie aus Ai Weiweis Blogtexten lesen. Diese Aktion ist nicht überflüssig geworden, im Gegenteil. Ai Weiwei ist frei, einstweilen. Wahre Freiheit aber sieht anders aus.

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