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Kultur: Chopin im Bach-Stil

24 Préludes umfasst Frédéric Chopins Opus 28: für jede Dur- und Molltonart eines.Wie Bachs "Wohltemperiertes Clavier".

24 Préludes umfasst Frédéric Chopins Opus 28: für jede Dur- und Molltonart eines.Wie Bachs "Wohltemperiertes Clavier".Bei seinem Debut im Kammermusiksaal konfrontierte Craig Sheppard den Vor-Impressionisten mit Bach - ein Coup.Und mehr noch: statt des sonst beliebten sfumato verfliessender Linien spielte der nicht mehr ganz junge Amerikaner in der Philharmoniker-Reihe "Sonntags um vier - Klavier" einen Chopin im Bachstil: konturenscharf, hart im Anschlag, auf die Gefahr des Hämmerns in der rechten, des Polterns in der linken Hand hin.Hier werden zuweilen Sheppards manuelle Grenzen hörbar.Jedoch: das ungewöhnliche Klangbild weiß Interesse zu wecken.Später stellen sich auch Einsichten ein: solch krasse Dissonanzen also hat Chopin gleich nach Beethovens Tod gewagt.Sheppard spielt, als gelte es zu beweisen, daß Chopin das legitime Bindeglied zwischen Bach und Schönberg sei.Man muß sich nur das bißchen romantisches Beiwerk wegdenken.Eine imponierende Lesart.Allerdings: etwas mehr von jener romantischen Zauberkunst würde man ihr dann doch wünschen.

Nach der Pause dann Bachs Goldberg-Variationen.Auch hier weiß Sheppard ganz genau, was er will.Aus einer ungewöhnlich langsam vorgetragenen, darum ungewöhnlich naiv und liedchenhaft wirkenden Aria entwickelt er eine große romantische Klavierphantasie in dreißig fast pausenlos in einander übergehenden Stationen.Die Wiederholungen läßt er meistens weg.Barocke Spiegelsymmetrien sind romantischer Ungeduld lästig.Er stürmt zielstrebig auf den Höhepunkt zu: Variation 29, die Toccata, präsentiert als mitreißend donnerndes Virtuosenfutter.Zwischen die aufsteigende Linie der Charakterstücke solchen Zuschnitts schaltet er die Kanons mit scharf herausgemeißelter Stimmenverflechtung.Sie übernehmen bei ihm eine ähnlich gliedernde Funktion, wie die "Promenades" in Mussorgskys "Bildern einer Ausstellung".Auch hier also ein überzeugendes Konzept, dem man mehr Feinschliff gewünscht hätte.Mancher Griff ging im Eifer des Gefechts daneben.In der Einleitung des b-Moll-Prélude von Chopin verließ den Pianisten kurzzeitig sein Gedächtnis.Eine grundsätzliche Laxheit in Fragen der Textreue war bei der Gestaltung von Pausen, Trillern, Vorhalten nicht zu überhören.Trotzdem brausender Beifall für ein anregendes Recital.

BORIS KEHRMANN

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