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Christian Jost: Das Tier in mir

Er ist Gastkomponist an der Komischen Oper. Heute wird Christian Josts Werk "Angst" aufgeführt.

Wie klingt Furcht? Zum Beispiel so: Die tiefen Streicher liefern ein Grummeln, in das plötzlich ein Klavier wie die Tatze eines wilden Tieres hineinfährt, während eine einzige Trompete lauernde, dann unvermittelt ausbrechende kratzige Töne von sich gibt. Die Cellisten spielen Glissando, verändern also, indem sie mit den Fingern über die Saiten gleiten, die Tonhöhe nach unten. Die Assoziation: endloses Fallen. So beginnt „Angst“ von Christian Jost, eine Choroper, mit der sich der Komponist vor zwei Jahren einer an sich unmöglichen Aufgabe stellte, nämlich eine einzige Emotion auf die Bühne zu bringen – als „Choroper“, ohne handelnde Protagonisten und ohne dramatische Entwicklung. Das Werk ist in den Sophiensaelen uraufgeführt worden, am heutigen Freitagabend inszeniert es die bosnische Jung regisseurin Jasmina Hadÿiahmetoviÿ an der Komischen Oper neu.

Jost hätte sich kein so schwieriges Thema aussuchen müssen. Der Auftrag des Rundfunkchors war nur, ein musiktheatralisches Werk zu schaffen, in dem der Chor eine ganz neuartige Rolle zugeschrieben bekommt. Doch er hat hohe, wenn nicht die höchsten Ansprüche. „In allen meinen Werken geht es um die conditio humana“, sagt er. Darum, was den Menschen im Innersten zusammenhält. Um Extremzustände, geistige Grenzerfahrungen, die Stellung des Einzelnen innerhalb eines Organismus. Seine Werke für Soloinstrument und Orchester tragen Titel wie „Dies Irae“, „Lux Aeterna“ oder „Pietà“. Das Phänomen Angst reiht sich da zweifellos gut ein. Inspirieren ließ sich Jost von dem realen Fall eines Bergsteigers, der in den Anden abstürzt und dessen Begleiter das Seil durchschneiden muss, um sein eigenes Leben zu retten. Die Gedankenströme des fallenden und des haltenden Bergsteigers werden im ersten und letzten Teil der Oper „Angst“ geschildert. Die drei Akte dazwischen – Jost nennt sie „Pforten“, also Zugänge – wirken wie stillgestellte Zeit, die Bergsteiger geraten aus dem Blickfeld, die Angst wird allgemein klanglich und textlich von mehreren Seiten ausgeleuchtet.

Dabei will Jost nicht auf banale Schock effekte setzen, den Hörer nicht plump anspringen. Kubriks „Shining“ gefällt ihm zwar, aber Filmmusik kann man von ihm nicht erwarten. Deshalb gibt es in „Angst“ auch nicht die hohen Streicher, die man erwarten würde. Stattdessen sorgen vier Celli für ein dunkles Klangbild, das sich von unten anschleicht und dadurch seine Sogwirkung entfaltet. Der Schluss ist komponiert als 32-fach aufgefächerter A-capella-Chor ohne Instrumentalmusik. „Dadurch, dass dieser wunderbare Chor das Stück jetzt schon zum zweiten Mal aufführt, wird er eine ganz andere Verinner lichungsebene erreichen“, hofft Jost.

Opern schreibt der 46-Jährige gebürtige Trierer, der in Berlin lebt, erst seit einigen Jahren – „seit ich weiß, dass ich diesen enormen Apparat lenken kann und nicht von ihm gelenkt werde“. Sein erstes abendfüllendes Stück war „Vipern“ (2005), dann „Angst“ und vergangenes Jahr „Die arabische Nacht“. Vorher hat er vor allem Konzerte und Kammermusik komponiert. Von seinem Gesamtschaffen können sich die Besucher der Komischen Oper in dieser Spielzeit einen recht guten Überblick verschaffen, da Christian Jost „Composer in Residence“ ist und mehrere wichtige Werke von ihm aufgeführt werden.

Höhepunkt ist die Uraufführung einer ganz neuen Oper im Juni. Auch hier stapelt Jost nicht gerade tief: Er hat „Hamlet“ vertont. Nirgendwo kristallisiert sich für ihn die Natur des Menschen so klar heraus wie in diesem Stück: „In ‚Hamlet’ geht es um die Verankerung des Einzelnen in der Gesellschaft. Im Grunde laufen alle meine Werke darauf zu.“ Das Orchester wird sich im Graben in zwei unabhängige Teile spalten, der Geist von sechs Männerstimmen gesungen und Hamlet von einer Frau. Das ist an sich nicht neu, Jost will damit aber betonen, dass die existenziellen Fragestellungen Hamlets frei von jeder Geschlechtszuordnung sind. Übernehmen wird diese Rolle übrigens seine Ehefrau Stella Doufexis. Da sollte Christian Jost eigentlich um das Gelingen des Abends keine Angst mehr haben. Udo Badelt

„Angst“, am heutigen 9. 1. und am 18. 1., 19 Uhr, Komische Oper

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